Archivgut Nachlass

Emilie W. NL 21 I

August 1873 bis Februar 1955

Weitere Informationen

Einrichtung: Sammlung Frauennachlässe | Wien
Jahr: August 1873 bis Februar 1955
Sprache: Deutsch
Beschreibung:
<p><b>Orte: </b>Unterach am Attersee in Oberösterreich, Wien; Buenos Aires in Argentinien; verschiedene Orte in Australien; München und Nürnberg in Deutschland; Bradford in Großbritannien; verschiedene Orte in Italien; Tänikon bei Aadorf in der Schweiz; Daressalam in Tansania („Deutsch Ostafrika“); Praha (Prag) in Tschechien; Budapest in Ungarn; Illinois, New York City und andere Orte in den USA; Kriegsschauplätze im 2. Weltkrieg: Terezín (Theresienstadt) in Tschechien ("Reichsprotektorat Böhmen und Mähren") u.a.</p>
<p><b>Quellentypen: </b>Tagebuch (tagebuchähnliche Aufzeichnungen): einzelne Seiten; Aufzeichnungen in Buchform: 4 Haushaltsbücher, 3 Theaterbücher; Korrespondenz (Familienkorrespondenz, Paarkorrespondenz, Freundinnenkorrespondenz, Korrespondenz aus dem KZ, Korrespondenz aus der Emigration): ca. 190 Schreiben; ca. 70 amtliche und geschäftliche Dokumente; Dokumente zur Schul-, Universitäts- und Berufslaufbahn: 8 Zeugnisse, 1 Inskritionsbestätigung, 1 Dienstbotinnenkrankenkassenbuch; 437 Fotografien (tw. in 6 Fotoalben); Weiteres: so genannte „Judensterne“ aus der NS-Zeit</p>
<p><b>Zum Bestand: </b>Schreiberin/Adressatin: Emilie W. (geb. S.); geb. 1873 in Budapest in Ungarn, gest. 1955 in Wien

Schreiber/Empfänger: Emil W.; geb. 1856 in Praha (Prag) in Böhmen, gest. 1925 in Wien

Übergeber: Ing. Hans-Heinz W. (Enkel von Emilie und Emil W.), 2000-2006



Emilie (genannt Emmy) W. (geb. S.) wurde 1873 als älteste Tochter von insgesamt 8 Kindern des wohlhabenden Fabrikantenehepaares Viktoria S. (geb. Kiss, 1853-1904) und Jakob S. in Budapest geboren. In den 1880er-Jahren übersiedelte die Familie nach Wien Weidlingau. Emilie S. besuchte acht Klassen einer "Höheren Töchterschule" in Wien. 1893 heiratete sie den Fabrikanten Emil W.. Sie war 20, er 37 Jahre alt.

Emil W. war seinerseits mit seinen Eltern und seiner Schwester Mitte des 19. Jahrhunderts aus Praha (Prag) nach Wien gekommen. Er führte eine Chemiefirma und besaß Immobilien in Wien. Nach dem Ersten Weltkrieg betrieb er zudem ein Hotel am Attersee im oberösterreichischen Salzkammergut.

1894 wurde Emilie und Emil W. Tochter Lilli W.-W. (geb. W., 1894-1987) geboren. 1913 trat die Familie gemeinsam vom mosaischen zum evangelischen Glauben über. Sie waren sehr kulturintressiert und unternahmen zahlreiche Reisen an die mondänen Orte in Europa, die Sommermonate wurden in der eigenen Villa in Unterach am Attersee in Oberösterreich verbracht.

Die bei der Familie von 1893 bis 1921 tätigen Hausangestellten sind in einem "Dienstboten-Krankencasse-Buch" dokumentiert. Eine Postkarte von Rosa O. wurde 1914 an Emilie W. adressiert, die Bestätigung der Teilnahme an einem Haushaltungskurs von Katharina C. aus Nikolsburg ist mit 1917 datiert.

Insbesondere Emil W. wird in der Familienerzählung als liberal erinnert. Eine Legitimationskarte aus 1906 weißt ihn als außerordentlichen Hörer an der philosophischen Fakultät der Universität Wien aus.

1925 verstarb Emil W. unerwartet, im selben Jahr wurde Lilli W.-W. Ehe geschieden. Emilie W. lebte fortan mit ihrer Tochter und deren beiden kleinen Söhnen gemeinsamen in der Familienwohnung in Wien Alsergrund. Im Zuge der Wirtschaftskrise verloren die beiden Frauen den Großteil ihres Vermögens. In der so genannten „Reichskristallnacht“ am 9./10. November 1938 wurde Emmy W. öffentlich gedemütigt, sie vermied es daraufhin, das Haus zu verlassen. Im November 1942 wurde sie von der Gestapo verhaftet und verbrachte mehrere Monate in Gefängnishaft in Wien. Im Jänner 1943 wurde sie in das Konzentrationslager Theresienstadt (Terezín) deportiert. Durch die Vermittlung einer evangelischen Hilfsorganisation aus der Schweiz kam Emilie W. im Februar 1945 in ein Flüchtlingslager in Tänikon bei Aadorf in der Schweiz, wo sie bis Weihnachten 1945 festgehalten wurde. Nach ihrer Rückkehr nach Wien lebte sie bis zu ihrem Tod 1955 bei ihrer Tochter.

6 der 7 Geschwister von Emilie W. waren bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts aus Österreich emigriert, drei von ihnen gingen nach Deutschland, zwei nach Südamerika, ein Bruder lebte mehrere Jahre in Afrika. Durch die NS-Verfolgung zerstreute sich die Familie schließlich auf mehrere Kontinente. Frieda L., die Nichte von Emil W., beging gemeinsam mit ihrem Ehemann im englischen Exil Selbstmord; Emilie W. Cousine Fantschy W. und ihr Ehemann wurden im KZ Auschwitz (Oświęcim) ermordet.

Der umfangreiche schriftliche Nachlass von Emilie und Emil W. umfasst verschiedenste Dokumentengattungen. Von den amtlichen Dokumenten sind ca. 70 Schriftstücke erhalten, darunter ihren Ehevertrag aus 1893, die Taufscheine aus 1913 sowie einen Personalausweis aus dem
„Jüdischen Siedlungsgebiet Theresienstadt“ aus 1943, einen „Flüchtlingsausweis“ aus 1945 und einen Mitgliedsausweis des Bundesverbandes österreichischer KZ-Häftlinge aus 1948. 29 der Schriftstücke betreffen Emilie W. Ansuchen um Haftentschädigung. Die Zeit während der Internierung in Terezín ist anhand von 135 Schriftstücken dokumentiert, darunter 105 Postkarten mit dem Vordruck „Paket dankend erhalten“ und ohne weiteren persönlichen Text, die sie zwischen August 1944 und Jänner 1945 aus dem Lager an die Tochter in Wien geschrieben hat. Ihre tagebuchähnlichen Aufzeichnungen aus der Zeit umfassen nur wenige lose Seiten. Weiters ist etwa ein Verzeichnis über getauschte Lebensmittel im KZ und ein „Bezugsschein“ erhalten. Aus den Monaten im Schweizer Flüchtlingslager liegen 52 Schreiben mit verschiedenen KorrespondenzpartnerInnen betreffend ihre Rückkehr nach Österreich vor.

Aus der Brautzeit von Emilie und Emil W. sind 15 (undatierte) Briefe des Bräutigams vorhanden, von der Hochzeitsfeier im Mai 1893 ist u.a. eine aufwändige Menükarte und die Rechnung eines Hotels in Venezia (Venedig) erhalten. Drei verschiedene Theaterbücher belegen die Besuche kultureller Veranstaltungen von Emilie und Emil W. und ihrer Tochter Lilli W.-W. zwischen 1882 und 1935.

Aus den Korrespondenzen von Emilie W. mit den Eltern, Geschwistern und der Tochter sind ca. 150 zum Großteil lose Schriftstücke aus dem Zeitraum von August 1888 bis August 1950 erhalten. Die Schreiben der emigrierten oder geflüchteten Geschwister wurden u.a. aus Argentinien, den USA und aus Australien nach Wien geschickt. Drei Briefe (Juni 1907 bis Februar 1919) hat Emilie W. jüngerer Bruder Walter S. während seiner Zeit als Söldner in Daressalam im damaligen „Deutsch-Ostafrika“ (Tansania) an sie gerichtet. Von allen Absenderinnen und Absendern sind nur einzelne Schriftstücke erhalten, Emilie W. scheint ihre Korrespondenzen nicht systematisch gesammelt zu haben. Von März 1947 bis November 1951 liegen weiters 16 Schreiben vor, die Malvine R. aus Illinois in den USA geschrieben hat. Emilie W. hatte sie im KZ Terezín kennen gelernt und blieb zeitlebens mit ihr befreundet.

Aus dem von Emilie W. (später gemeinsam mit ihrer Tochter Lilli W.-W.) geführten Haushalt liegen 4 Haushaltsbücher mit Einträgen von Juli 1891 bis Dezember 1907 sowie Mai 1949 bis Mai 1954 vor.

Der Bestand von 233 Fotografien umfasst zum Großteil Porträtaufnahmen von Familienangehörigen aus der Zeit um 1900, die teilweise in 6 mitunter aufwändige Alben eingelegt sind.

Als Gegenstände sind u.a. zahlreiche so genannte „Judensterne“ aus der NS-Zeit übergeben worden.



Zum Nachlass von Emilie W. liegen umfangreiche Nachträge in grober Ordnung vor. Autobiografische Texte von Ing. Hans-Heinz W. sind Teil der Bestände der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen.</p>
Anmerkung:
Aus Datenschutzgründen werden in diesem Online-Verzeichnis alle Nachnamen abgekürzt angegeben. Die mit den Übergeber/innen der Bestände jeweils vertraglich vereinbarte Verwendung der Namen ist bei der Recherche vor Ort abzuklären.
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Standort

Sammlung Frauennachlässe
c/o Institut für Geschichte, Universität Wien

Universitätsring 1
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Die erste Sichtung der Quellen erfolgt in den Räumlichkeiten der Sammlung Frauennachlässe. Für die spätere Bearbeitung ist eine Aufstellung der Materialien in der Fachbibliothek für Geschichte möglich.

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