Orte: Graz Quellentypen: Tagebuch (Frauentagebuch, Familienchronik/Geburtenverzeichnis): 1 Band Zum Bestand: Schreiberin: Marie M., Lebensdaten unbekannt
Übergeberin: Monika Hölzl (Urenkelin von Marie M.), 2018
Das Tagebuch ist in vorgedruckte Tagesfelder in einem kleinformatigen „Notiz-Kalender für die Elegante Welt 1873“ mit dunkelbraunen Stoffeinband und Goldprägung eingetragen. Die Provenienz der Aufzeichnungen ist nicht endgültig geklärt. Sie wurden als Teil von dem umfangreichen Nachlass der Familie Dietz übergeben. Dass sie von Marie M. geschrieben wurden, ist eine Vermutung. Der Schreibort Graz ist darin ebenfalls nicht direkt benannt, kann aber aus einzelnen Hinweisen wie dem Besuch des „Musikvereins“ zumindest angenommen werden.
Die Schreiberin war dem Inhalt nach eine junge Frau. Ihr sozialer Hintergrund dürfte bürgerlich gewesen sein, was sich aus den Schilderungen ihrer Tätigkeiten und sozialen Kontakte – und den Schilderungen der Freizeitaktivitäten ihres Ehemannes Julius schließen lässt, der regelmäßig zum Kartenspielen ins Kaffeehaus ging. Die täglich geführten Tagebucheinträge sind oft von einer klagenden Grundstimmung dominiert. Ein Grund für die Niedergeschlagenheit der Schreiberin war vermutlich die Todgeburt eines Kindes, die sie erst wenige Wochen vor Beginn der Aufzeichnungen erlebt hatte: „Mein Gott ist das schon ein Monat, wo ich mein theueres Kind bekommen und auch zugleich verloren habe“ (2. Jänner 1878).
Wiederholt erwähnt sie Arbeiten im Haushalt mit ihrem Dienstmädchen Marie und thematisiert ihren Alltag als eintönig: „Ich weiß nicht nicht mir ists heute schon wieder so bange, und langweilig, wie ichs garnicht sagen kann. Daß machts weil ich keine bestimmte beschäftigung habe. Was ist der Mensch ohne Zweck auf Erden? Und insbesondere ein Weib … Hätte ich mein Kind wie viel zu thun hätte ich“ (7. Jänner). „Kochen und wieder kochen, Waschen, aufräumen, (…) ordnung machen! Daß erwartet einem wenn man heiratet, und welcher Lohn? Nun! Daß man vom dem heimkehrenden Mann angeraunzt wird, wenn er gerade nicht bei Laune ist. Und doch diese Heirats-Wuth“ (16 Jänner). „Es Ereignet sich in meinem einfachen Lebenslauf so wenig, daß ich oft nicht weis was ich schreiben soll. Doch da ich mir vorgenommen habe alle Tage etwas zu notieren so will ich es auch thun, selbst auf die Gefahr hin, wenn einst jemand dieses Buch zur Hand bekommt aus gelacht zu werden“ (3. Februar). Entsprechend ihres Vorsatzes ist das Kalenderbüchlein auf 200-Seiten voll beschrieben. Die Schrift ist zum Teil schwer lesbar, die vorgedruckten Tagesfelder wurden teilweise eingehalten und teilweise nicht.
Ein wiederkehrendes Thema ist die Einschätzung ihrer Ehe sowie ihres Ehemanns Julius: „Mein lieber Mann ist schon wieder im Caffeehaus, ich glaube daß das bei ihm schon Leidenschaft ist, den wie könnt er sonst solchen gefallen daran finden. Doch ist mir heute die Zeit nicht zu lange geworden da Frau Major hier war, und so viel spielt daß man gar nicht dazu kommt an etwas anderes zu denken.“ Selbst ging sie nicht so gerne in eine Gastwirtschaft: „mir ist es aber nicht sehr angenehm mich da von den Männern anschauen zu lassen“ (19 Jänner). Wiederholt bespricht die Schreiberin auch ihre Liebe zu ihrem Ehemann.
Ende des Jahres 1873 wurde Marie M. wieder Mutter. Das geht einerseits aus den Tagebucheinträgen hervor, andererseits aus dem familienchronikhafte Verzeichnis, das vorne in das Buch eingetragen ist. Hier hat sie bis 1880 die Geburten von schließlich 7 Kindern dokumentiert, die seit 1872 beinahe jedes Jahr zur Welt gekommen sind, sowie den Tod ihrer Mutter 1875. In diesem Verzeichnis ist auch die Geburt einer Tochter namens Marie Caroline Henriette im Jahr 1878 verzeichnet, die vermutlich Marie Dietz (geb. M., NL 51 III) gewesen ist.
Die kurzen Beschreibungen der Geburten sind mit Angaben genauer Uhrzeiten und der Umstände versehen. Die Entbindung der zweiten Tochter Emanuela Maria am 28. November 1873 wird hier folgendermaßen dargestellt: „Ich litt von 6 Uhr Abends, bis 3/4 12 Nachts fürchterlich, so daß ich glaubte daß es unerträglich sei daß ich es aushalte. Mit Gottes Hülfe ging es doch“ (28. November 1873). An späterer Stelle hat die Wöchnerin noch folgendes verzeichnet: „Mittwoch den 11 Dezember bin ich zum ersten mal auf 2 Stunden aufgestanden. Sonntag den 14. hab ich zum ersten mal gekocht. Montag den 23 bin ich zum erstenmal ausgegangen. Der Madam bezahlt 20 fl.“ Auf den letzten 3 Seiten des Notizbuches sind teilweise datierte Einnahmen und Ausgaben eingetragen.
Das Jahr 1878 endete am Silvestertag dann auch versöhnlich: „Ich fürchtete daß ich heute ganz allein wieder hier syen werde. Doch kam es anders, mein lieber Mann bekam keine Parthie, und kam daher nachhause, und so verbrachten wir recht angenehm den Abend zuhause. Und so trette ich, auf Gottes Hülfe bauend, vertrauungsvoll in daß neues Jahr. Gott helfe, Gott schütze meinen Mann, Kind und mich.“
Eingelegt in das Tagebuch ist eine Visitenkarte von Marie M. mit der Widmung für ihren Enkelsohn Erich Dietz zur Konfirmation aus 1921 sowie eine Tischkarte für „Minister Ceneral Catlos“, die ggf. aus anderen Zusammenhängen stammt. |