Orte: Wien u.a. Quellentypen: Tagebuch (Jugendtagebuch, Männertagebuch): 7 Bände und lose Teile; Korrespondenz (Freundschaftskorrespondenz, Feldpost aus dem 2. Weltkrieg): 3 Schreiben; ca. 80 amtliche Dokumente/Dokumente zur Schul- und Berufslaufbahn: u.a. Schul- und Dienstzeugnisse, Mitgliedsbücher, berufliche Unterlagen, 1 Arbeitsbuch, Mitschriften zu Fachthemen u.a.; 6 Fotografien Zum Bestand: Schreiberin/Besitzerin: Helene A. (geb. R.); 1935-2013, geb. und gest. in Wien
Schreiber/Besitzer: Rudolf A.; geb. 1927 in Wien, weitere persönliche Daten unbekannt
Übergeber: Nicolas D. (Bevollmächtigter), 2016
Helene („Helli“) A. wuchs im dritten Wiener Gemeindebezirk auf. Entsprechend ihrer Schulzeugnisse besuchte sie ab 1943/44 die Volksschule in Münchreith nahe Raabs an der Thaya in Waldviertel, womöglich im Rahmen einer Kinderlandverschickungs-Aktion. Von ihrem Vater, dem Schriftsetzer Heinrich R. (geb. 1905) liegt der handschriftliche Entwurf einer Erklärung über seine systemkritische Haltung in der NS-Zeit vor, von ihrer Mutter Maria R. (geb. H. geb. 1911) u.a. der Lehrbrief als Kleidermacherin aus 1928. Helene A.s Schul- und Berufslaufbahn als gelernte Schuh-Verkäuferin ist durch eine Sammlung ca. 30 verschiedenen Zeugnissen und weiteren Unterlagen dokumentiert. 1953 heiratete sie den Maurer Rudolf A. aus Wien.
Rudolf A.s Mutter Leopoldine S. (geb. A., 1907–1986) hatte während des Zweiten Weltkriegs Franz S. geheiratet. Von (wahrscheinlich) den beiden sind 3 Fotografien erhalten, auf einer ist sind Soldaten an einem Kaffeetisch mit Paketen abgebildet, denen eine Krankenschwester mit einer Porzellankanne einschenkt. Franz S. starb 1944 als Soldat. Davon ist eine „Mitteilung über Sterbefall“ erhalten sowie ein Brief eines nicht persönlich bekannten Soldaten, in dem er Leopoldine S. den Ort des Grabes von Franz S. mitteilte. Als Vater von Rudolf A. ist in seinem 1944 ausgestellten „Wehrpass“ der Lehrer Karl P. angegeben.
Von Rudolf A. sind 8 amtliche Dokumente (ausgestellt zwischen 1942 und 1985; sein Reisepass aus 1954 ist auch für seien Ehefrau Helene A. gültig) sowie zirka 20 Dokumente und handgeschriebene Aufstellungen zu seinem Berufsweg vorhanden. Zu den Fachthemen „Baukunde“, „Kalkulation“ und „Geometrie“ sind zudem 3 handgeschriebene Hefte erhalten. Aus 1943 sind zwei Bestätigungen über zweifach abgesessenen „Jugend-arrest“ und aus 1956 ein einzelnes Strafurteil nach § 460 STG aufbewahrt worden. Eines der lose vorliegenden Dokumente ist die Rechnung über einen PKW aus 1954.
Den größten Teil des Bestandes machen die Tagebuchaufzeichnungen von Rudolf A. aus, die zwischen Oktober 1945 und Juni 1951 datiert werden können. Die täglich zumeist mit Bleistift geführten Aufzeichnungen sind knapp formuliert, geben aber detaillierte Auskunft über das Wetter, die tägliche Arbeitsleistung als Maurer, den jeden Freitag erhaltenen Lohn in verschiedener Höhe und das „Akkordgeld“, die samstags getätigte Anschaffungen (v.a. Kleidung) mit Preisangaben sowie die Freizeitgestaltung des jungen Mannes. Er dürfte Schwimmsport betrieben haben, v.a. besuchte er regelmäßig Fußballmachtes und sehr häufig Kinovorstellungen. Dazu gibt er jeweils den Ausstrahlungsort, den Film sowie das Land, in dem dieser produziert worden ist („ameri“, „russ.“, „österr.“ etc.) an. Ein Besuch der Theateraufführung von „Der Bockerer“ im Oktober 1948 gibt einen indirekten Hinweis auf Rudolf A.s politische Gesinnung. (Er und Helli A. waren später Mitglieder beim ÖGB.)
Wiederkehrend sind auch Vermerke „Alles wie gestern“ oder „N.B.“ als Kürzel für „nichts Besonderes“ eingetragen. Während der Fokus der Inhalte der Aufzeichnungen wiederkehrend und regelmäßig war, hat Rudolf A. sie auf sehr unterschiedlichen Formaten geführt. Sie liegen in verschieden gebundenen Heften (mit und ohne Umschlag), für das Kalenderjahr 1946 in Kuverts nach Monaten geordnet sowie auf losen Blättern und Kärtchen vor. Auch ist die Schrift sehr wechselhaft. Ein Teil der losen Aufzeichnungen kann zudem nicht datiert werden.
In seinem typischen knappen Stil verwies Rudolf A. vereinzelt auf seine jeweils aktuelle Lebenssituation: „Mittwoch 2.I. [1946] Mittags mit B. [seinem Freund] hinein [in die Stadt]. Mit Mama zur Kettenbrückengasse. Die Ernährungssorgen nehmen Dimensionen an. ½ 4 h Scala Kino ‚Sportrevue der Sowjetvölker‘. Abends mit B. nach Hause. Mama und Lisi waren bei S. [den Schwiegereltern der Mutter].“ Im Oktober 1948 hat Rudolf A. den Besuch von einem „Engländer von der Lisi“ beschrieben und auch mit einem seltenen, persönlichen Kommentar versehen: „ganz netter Bursche“. Vermutlich ist damit die Bekanntschaft eines Familienmitglieds, wahrscheinlich der jüngeren Schwester, mit einem Besatzungssoldaten aus Großbritannien gemeint. Eine Farbfotografie zeigt jedenfalls den auf Englisch beschrifteten Grabstein von Elisabeth F. (1933–1990) und des kleinen Christopher Dennis F. (1951–1955).
Von Februar und März 1990 ist schließlich ein kleinformatiges Heft erhalten, das Rudolf A. während eines Krankenhaus-Aufenthalts geführt hat. |