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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:2000-1-a
Formatangabe: Bericht; Dossier
Link: Volltext
Verfasst von: EMMA
In: EMMA
Jahr: 2000
Heft: 1
Beschreibung: zahlr. Ill.
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Zu einem "wahrhaft historischen Ereignis" (Marlene Streeruwitz) gerieten die drei Oktobertage in Köln. Zum Anlaß des 50. Jahrestages des Erscheinens vom "Anderen Geschlecht" kamen Schriftstellerinnen, Philosophinnen und Praktikerinnen aus aller Welt an den Rhein, um Bilanz zu ziehen und in die Zukunft zu blicken. Es wurden drei bewegte Tage, intellektuell wie emotional. Schon die Kulisse war ungewöhnlich. In einem historischen, neu ausgebauten Gebäude direkt am Rhein (im Sport und Olympiamuseum) und im Schlagschatten des mittelalterlichen Bayenturms, in dem seit 1994 der FrauenMediaTurm residiert, trafen sich in diesen Tagen 23 Referentinnen aus aller Welt, sieben Schauspielerinnen aus Deutschland und rund 700 Besucherinnen, überwiegend aus den deutschsprachigen Ländern. Von vier Übersetzerinnen wurden die Vorträge simultan in drei Sprachen übersetzt - was nur dank diverser Sponsoren, allen voran die Kölner Stadtsparkasse, machbar war.

Bei aller Unterschiedlichkeit, die zeitweise hohe Wellen schlug, verband eine Überzeugung alle Referentinnen: der Glaube an eine ursprüngliche Gleichheit der Menschen - und damit auch der Geschlechter. Die Theorien und Visionen des"Gleichheits-Feminismus" standen auf dem Prüfstein, dessen hervorragendste Vertreterin in diesem Jahrhundert Simone de Beauvoir ist. Ihre Worte "Man wird nicht als Frau geboren, man wird es" wurden zum Schlüsselsatz der Gleichheitstheorie. Und sie gaben dem von Alice Schwarzer in Zusammenarbeit mit dem FrauenMediaTurm initiierten Kongreß den Titel.

Seit Erscheinen des "Anderen Geschlechts" haben Frauen weitergedacht und weitergehandelt. Judith Butler, die Repräsentantin des sogenannten postmodernen Feminismus, spricht von einer "Konstruktion der Geschlechter", was dasselbe meint: Nämlich daß Geschlecht keine natürliche, sondern eine kulturelle Kategorie ist. Neu ist die Unterscheidung zwischen "sex and gender", Begriffe, die nicht aus der Frauenbewegung, sondern aus der Forschung kommen: "sex" meint im Englischen das biologische Geschlecht, "gender" das kulturelle. Für neu halten Butler und ihre Anhängerinnen in der, ausschließlich akademischen, Debatte die Erkenntnis, nicht nur gender, sondern auch sex sei eine Konstruktion.

Doch schon 1949 hatte Simone de Beauvoir in ihrer Einleitung zum "Anderen Geschlecht" die schlichte Frage gestellt: "Gibt es überhaupt Frauen?" und sie mit der Erkenntnis beantwortet, daß sie "gemacht", also konstruiert werden. Und 150 Jahre zuvor hatte die französische Revolutionärin Olympe de Gouges verkündet: "Die Frau wird frei geboren und ist dem Manne gleichberechtigt" (wofür sie mit ihrem Leben auf dem Schafott bezahlte). Die amerikanische Menschenrechtlerin Sarah Grimke hatte weitere 50 Jahre zuvor erklärt: "Intelligenz hat kein Geschlecht." Und die deutsche Feministin Hedwig Dohm spottete um die Jahrhundertwende: "Die weibliche Andersartigkeit ist eine durchsichtige Lüge." Nur um ein paar von zahllosen möglichen Beispielen zu nennen.

Kurzum: Wir haben es beim Gleichheits-Feminismus mit einer jahrhundertealten Denktradition zu tun, die weder eine kurzlebige Mode ist, noch eine ständig neu zu erringende Erkenntnis, die nur schon mal die Begrifflichkeiten wechselt. Im 19. Jahrhundert hießen die Anhängerinnen des Gleichchheits-Feminismus "Radikale", Anfang diesen Jahrhunderts haben sie sich zeitweise "Radikale Feministinnen" genannt - und wählen jetzt, zur besseren Verständlichkeit, den Begriff Gleichheits-Feministinnen oder Universalistinnen. Neu ist allerdings der Trend zu der totalen Akademisierung der feministischen Debatte, die sich zunehmend in einer verschlüsselten Herrschaftssprache artikuliert und so die Analyse von der Praxis trennt.

Das Postulat von einer grundsätzlichen Gleichheit der Geschlechter, wo der biologische Unterschied nicht als definierender Faktor verstanden wird, war und ist kennzeichnend für die eine traditionelle Strömung des Feminismus. Die andere Strömung argumentiert im Namen der Differenz, des Unterschiedes: mal als natürlich gegeben, mal als sozial geprägt oder als quasi genetisch verankert angenommen — die Differentialistinnen charakterisieren sich dadurch, daß sie immer im Namen dieses"Andersseins" von Frauen argumentieren.

Die Universalistinnen antworten ihnen darauf: Das Anderssein ist immer gleich Mindersein, denn es sind die Mächtigen, die das Definitionsmonopol haben, die sich zu den "Einen" und uns zu den "Anderen" erklären. Erstrebenswert ist nicht die Polarisierung, sondern die Annäherung, die "Geschwisterlichkeit" der Geschlechter.

Es sieht historisch so aus, als sei der in Wahrheit tiefe Graben zwischen Gleichheitsanhängerinnen und Differentialistinnen immer nur im Aufbruch verdeckt gewesen: Beide Strömungen fordern mehr Rechte, nur die einen tun es von dem Postulat der Gleichheit aus, die anderen von dem der Andersartigkeit - wobei sie die Frauen auch manchmal zu den "Besseren", den "Friedlicheren", "Menschlicheren" erklären. Die Gleichheitsfeministinnen aber haben es immer abgelehnt, Männer von Natur aus für"schlecht" und Frauen von Natur aus für "gut" zu halten - für sie sind die Geschlechtsrollen eine Machtfrage. Und: Die Universalistinnen kritisieren nicht nur den Männlichkeitswahn, sondern auch den Weiblichkeitswahn. Vor diesem Hintergrund sind auch die Kongresse in Frankreich, Deutschland oder Österreich zum Jahrestag von Beauvoirs "Anderem Geschlecht" zu verstehen. Denn dieses Buch wurde weltweit zu einer Art Code für den Gleichheitsfeminismus. Und seine Anhängerinnen sehen zum Ende des Jahrtausends die Zeit für gekommen, Bilanz zu ziehen -um eine gemeinsame Strategie für das nächste Jahrtausend zu entwickeln.

Es war kein Zufall, daß Schwarze, Jüdinnen und Frauen aus islamischen Ländern auffallend stark vertreten waren auf diesem Kongreß im Herzen von Deutschland. Denn eine konsequente Analyse muß zu der Erkenntnis führen, daß jede Art von Differenz-Ideologie abzulehnen ist und daß die Parallelen zwischen allen zu den "Anderen" gemachten unübersehbar sind.

Die als Frau und Jüdin sensibilisierte französische Philosophin Elisabeth Badinter analysierte in ihrem Eröffnungsvortrag am Samstag die erschreckende Aktualität Beauvoirs in Zeiten des neu auffallenden Weiblichkeitswahns und Mutterschaftsmythos. Die aus Wien in die USA geflüchtete Historikerin Gerda Lerner sprach über die Gemeinsamkeiten zwischen der Unterdrückung von Juden, Schwarzen und Frauen, wobei sich die Frauen für sie nur in einem unterscheiden: "Frauen haben noch nicht einmal eine Geschichte." Und die Iranerin Mina Ahadi sowie die Algerierin Khalida Messaoudi appellierten in ihren existentiellen Reden an die Solidarität westlicher Feministinnen mit ihrem verzweifelten Kampf gegen den Emanzipation, Aufklärung und Menschenrechte niederwalzenden islamischen Fundamentalismus.

Standing Ovations am Samstag für die Rede von Khalida Messaoudi, die eine Stunde zuvor aus Algier eingeflogen war. Ihre Empörung über das in Europa so gerne angeführte Argument, die Fundamentalisten seien schließlich "vom Volk gewählt", gipfelte in dem Satz: "Auch Hitler wurde damals vom Volk gewählt", sowie dem flehenden Appell: "Ohne die Unterstützung der Frauen- und Menschenrechtlerinnen der westlichen Länder verlieren wir unseren Kampf um Leben und Tod."

Nur der erste Tag des Kongresses war direkt der Frage: "Wie aktuell ist Simone de Beauvoir heute?" gewidmet. Nach Badinters Einführung ("Aktueller denn je zuvor", siehe Seite 84) referierte die amerikanische Beauvoir-Forscherin Margaret Simons über das Entstehen des philosophischen Denkens von Beauvoir vor der Begegnung mit Sartre, analysierte das englische Forscherpaar Kate und Edward Fullbrook ihren Einflul auf ihn ("Er war ihr Schüler"), berichtete die deutsche Beauvoir-Forscherin Ingrid Galster über die tumultösen Reaktionen bei Erscheinen des "Anderen Geschlechts", referierte die australische Soziologin Sheila Jeffreys über die "Erotisierung des Unterschiedes" — und griff die Historikerin Gerda Lerner Beauvoir scharf an. Sie warf ihr unverzeihliche Ignoranz der Frauengeschichte und zu große Gläubigkeit an das männliche Prinzip vor.

Natürlich schlugen die Wellen in der anschließenden Podiumsdiskussion hoch. Nicht nur Badinter, des Vorwurfes eines zu "männlichen Denkens" auch aus eigener Erfahrung mehr als überdrüssig, wies Lerners Kritik scharf zurück. Auch Simons und die Fullbrooks bewiesen Lerner, daß ihre auf der. amerikanischen Übersetzung des "Anderen Geschlechts" beruhende Kritik schon deswegen falsch sei, weil darin 70 Seiten über die historischen Frauen einfach weggelassen worden seien.

Am nächsten Tag, dem Samstag, ging es um das Thema: "Wir und die Anderen. Sexismus, Rassismus, Antisemitismus". Marlene Streeruwitz führte ein mit einer sehr genauen und sehr lakonischen Betrachtung über sich, Araki und Araki-Konsumenten (siehe Seire 87). Ihr folgte Rita Thalmann, die als Kind mit den Eltern von den Nazis aus Nürnberg verjagt, heute in Frankreich lebt und an dieser Stelle nicht nur über die Parallelen von Juden und Frauen, sondern auch über ihre Unmöglichkeit, in Deutschland zu leben, sprach. Obioma Nnaemeka demonstrierte temperamentvoll, daß die schwarze Frauenbewegung lebt und auf weißen Paternalismus pfeift. Und die Soziologin Kathleen Barry aus Pennsylvania berichtete, daß der von ihr und anderen Feministinnen ausgearbeitete UN-Report die Grundlage für die neuen Gesetze in Japan und Schweden zur Achtung der Freier seien.

Benoite Groult, in Deutschland bisher eher als Autorin des autobiographischen Romans "Salz auf unserer Haut" berühmt, in dem sich eine Ehefrau die Freiheit eines Liebhabers nimmt, in Frankreich aber seit Mitte der 70er Jahre bekannt als kämpferische Feministin, beklagte die Renaissance des Antifeminismus in den Medien. Die an diesem Abend von dem FrauenMediaTurm-Vorstandsmitglied Renate Möhrmann geleitete Diskussion hätte bis in die Nacht gehen müssen, hätten sich die aus allen Ländern und Kontinenten Angereisten über ihre Erfahrung mit dem leidigen Thema (Männer)Medien - und die Rolle der weiblichen Journalistinnen dabei! - ausgetauscht

Doch für den Abend standen die historischen Feministinnen-Texte auf dem Programm, ausgewählt von FMT-Vorstandsmitglied Ursula Scheu, vorgelesen von Stars, aus deren Mund nicht jeden Tag Feminismus pur zu hören ist (siehe Seite 82). Dieser Abend war unbestritten einer der Höhepunkte des Kongresses — allein schon der Anblick dieser Riege in einem Raum widerlegte einen Sack voller Klischees. Am nächsten Tag hieß das Motto: "Vom Denken zum Handeln". Nach einem Einführungsvortrag von Alice Schwarzer, in dem sie unter anderem auf die zentrale Rolle von Gewalt bei der Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen einging, plauderten Ministerin Christine Bergmann und Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth aus dem Nähkästchen. Bergmann erinnerte ungeschminkt an die Vorteile, die Frauen in der DDR hatten. Und Süssmuth entschloß sich zu dem Bekenntnis: "Feministin zu sein, ist das Mindeste, was eine Frau tun kann!" Da machten einige im Saal doch sehr runde Augen. Schon wieder stimmten die Klischees nicht mehr.

Die Wiener Feministin Rosa Logar berichete von ihrer Anti-Gewalt-Arbeit, die das Modell für die deutsche AntiGewalt-Aktion ist (siehe Emma 2/99). Und die Wissenschaftlerinnen Sigrid Metz-Gockel, Barbara Schaeffer-Hegel und Sonja Bischoff sprachenüber ihre sehr verschiedenen, aber alle erfolgreichen Erfahrungen und Wege zur Macht.

WDR-Moderatorin Bettina Böttinger leitete die letzte Diskussion des Kongresses und wunderte sich, wie undiszipliniert auch Professorinnen und Ministerinnen durcheinander reden können. Vom Publikum gab's Lob und Kritik (mehr Pausen! weniger Eintritt!) und vor allem die Hoffnung: Das muß weitergehen! Bestärkt, ja regelrecht euphorisch strebten hunderte von Frauen zum letzten Umtrunk im FrauenMedia-Turm, wo die 25jährige Jule mit der 62jährigen Rita zünftig mit Kölsch anstieß.

Zurück blieben neu gewonnene oder wieder erinnerte Erkenntnisse und reichlich zerdepperte Klischees (die nichtsdestotrotz prompt in den Medien wieder auftauchten: samt und sonders aus Journalistinnen-Feder). Vor allem das von den so gern zitierten"jungen Frauen", die sich angeblich so gar nicht mehr für Feminismus interessieren. Doch ein Blick genügte, um zu sehen: Mehr als die Hälfte der Besucherinnen war in diesen drei Tagen unter 30. Was vielleicht auch an der Lebendigkeit und Lebensnähe der Veranstaltung lag.

Ende April 2000 erscheinen alle Referate des Kongresses bei Kiepenheuer & Witsch in dem KiWi-Taschenbuch "Man wird nicht als Frau geboren", hrsg. von Alice Schwarzer. - Jüngst im Taschenbuch erschienen: die Neuauflage des Interviewbandes "Simone de Beauvoir - Rebellin und Wegbereiterin" von Alice Schwarzer (KiWi, 16.90 DM, s. Seite 109). -Die verlesenen historischen (und viele andere) Texte sind einsehbar im: FrauenMediaTurm, Bayenturm, 50678 Köln, T 0221/951881-0, Fax -18, E-mail: women-info@FrauenMediaTurm.de. Nutzung nach Anmeldung.
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