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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1998-6-a
Formatangabe: Porträt
Link: Volltext
Verfasst von: Schwarzer, Alice info
In: EMMA
Jahr: 1998
Heft: 6
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Die Trobadora
Alice Schwarzer über Irmtraud Morgner

Das Peinliche an der Emanzipation ist das Kleinliche, ist der Kampf um dreckiges Geschirr und stinkende Windeln. Es gab eine Zeit, und die ist noch gar nicht so lange her, da waren die Frauen so stark, daß sie selbst vor der Benennung dieses Peinlichsten nicht zurückschreckten - aber gleichzeitig nach den Sternen griffen. Dieser triumphale Aufbruch der Frauen streifte Anfang der 70er Jahre auch Irmtraud Morgner, die Sächsin in Ostberlin. Resultat: 1974 erschien ihr "Roman in dreizehn Büchern und sieben Intermezzos" mit dem vielversprechenden Titel: "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz de Dia nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura". Die provenzalische Liebessängerin aus dem Mittelalter erwacht nach 800jährigem Schlaf und begegnet Triebwagenfahrerin Laura in Ost-Berlin. Acht Jahre später folgte "Amanda. Ein Hexenroman." Diese Hexen sind Ketzer, die "das Mögliche von Übermorgen denken".

Mit den beiden Büchern schwingt Morgner sich im geteilten Deutschland im Flug an die Spitze eines neuen Dichtens und Denkens. Sie, die Dichterin aus der DDR, wurde zur Trobadora des Aufbruchs. Einkaufsnetz und Windeln in der einen, griff Morgner mit der anderen Hand nach den Sternen und verkündete stolz: "Mein Antrieb wäre nicht, Kunst zu machen; mein Antrieb wäre, Welt zu machen. Natürlich mit der größtmöglichen Wucht an Worten."

"Welt" machte Morgner in der Tat in den 70er Jahren, in diesen Jahren, in denen die rebellisch werdenden Frauen nach Vorbildern suchten und die herrschenden Männer in Ost wie West unruhig wurden. Doch in den 80ern sank Morgner entmutigt, doppelt entmutigt, zurück. 1990 starb sie im Alter von 56 Jahren an einem zu spät diagnostizierten und in Ostberlin falsch behandelten Darmkrebs einen viel zu frühen, medizinisch vermeidbaren Tod.

Der Schweizer Schriftsteller Rudolf Bussmann, Morgners letzter Liebesgefährte, hat jetzt den Nachlaß in 239 Mappen und auf 13.000 Manuskriptblättern gesichtet; Stoff im Übermaß für eine zweite Hälfte des Lebenswerkes der Dichterin, jetzt nur noch literarische Abbruchhalde. Bussmann filterte aus der Hinterlassenschaft kenntnisreich und akribisch 300 Seiten heraus: Teile aus ihrer schon vor dem Tod aufgegebenen dritten Folge der Trilogie, bereits in Zeitschriften Veröffentlichtes und Fundsachen aus Morgners von ihr so genannten "Kopfkissenbüchern". Vor uns entfaltet sich die klarsichtige, aber zunehmend von Verzweiflung umnebelte, visionäre Welt einer Schriftstellerin, die um das ganz Kleine wußte und das ganz Große wollte.

"Mein zentrales Thema ist der Eintritt der Frauen in die Historie", hatte Morgner erklärt, und tat die ersten Schritte; große Schritte, denn sie kam von sehr weit her. Ihre überraschendsten Waffen waren die erotische Offensive und die ironische Umkehrung. In ihrem "heroischen Testament", das leider keines ist - also nicht am Ende eines erfüllten Lebens steht, sondern einfach liegengeblieben ist in ihrer Schreibwerkstatt - begegnen wir noch einmal dem Reigen ihrer so phantastischen und so irdischen Gestalten, von der mittelalterlichen Trobadora bis zur Triebwagenfahrerin Laura, vom schönen Liebhaber bis zum Oberteufel Kolbuk.

Es kommt dem Nachlaßbewahrer entgegen, daß Morgners Methode schon zu Lebzeiten die Montage-Technik war: das Zusammensetzen kleiner Szenen zum großen Szenario. Ihr kam es darauf an, erläuterte 1975 der Literaturwissenschaftler Gerhard Wolf (und Mann von Christa) in seiner Laudatio anläßlich des Heinrich-Mann-Preises, "die neuerworbene Methode, einander ausschließender Elemente, Historisches und Aktuelles, Abenteuerliches und Faktisches, für Autor und Leser gleichermaßen wie im Fluge offen zu halten".

Es kam ihr auch darauf an, das Leben der alleinerziehenden Mutter (eines Sohnes) mit dem der alleinschreibenden Dichterin auf einen Nenner zu bringen. Die 1933 geborene Tochter eines Chemnitzer Lokomotivführers und einer Hausfrau, in deren Elternhaus es kein einziges Buch gab, verdankte den Zugang zu Wissen und Bildung vor allem den in die DDR (zurückgegangenen Emigranten - und sah ab Ende der 70er ihren sozialistischen Traum zerbrechen. Die gelernte Journalistin und gewordene Dichterin verdankt den Zugang zu ihren Wurzeln als Frau vor allem den Anfängen der Frauenbewegung - und sah ab Anfang der 80er auch ihren feministischen Traum zerbröckeln.

Seit dem Jahre 1975 - nach Erscheinen ihrer "Beatriz" und meines "Kleinen Unterschieds" - waren wir bis zu ihrem Tod Freundinnen. Und so erlebte sie, mit wachsendem Grauen, den prompt und schon Mitte der 70er einsetzenden Rückschlag gegen die Emanzipation, bei dem sich von Anfang an Frauen gegen Frauen willig einsetzen ließen, auch im Westen ganz aus der Nähe. Morgners sarkastische Antwort auf Verrat unter Frauen sind, die "Dunkelweiberbriefe", die ein Teil der dritten Folge der Trilogie werden sollten. In ihrer Geschichte "Die Puppe" (nächste Seite) - von einer wohlwollenden Rezensentin bezeichnenderweise für Privatsache und zu "autobiographisch" gehalten ("Was gehen mich Morgners Eltern an?") - kulminieren beide Aspekte: die Klassenherkunft und die Geschlechterzugehörigkeit. Ihre doppelte Identitätslosigkeit, als Arbeiterkind und als Frau, wird Morgner immer bewußter und legt sich bleischwer auf die Flügel der Dichterin.

Diese Eltern, die nie eine Zeile von dem "Krempel" ihrer Tochter gelesen haben; diese Mutter, die sich dem dumpf autoritären Vater in Selbsthaß (und damit auch Tochterhaß) unterwirft und auch noch dazu beiträgt, ihre eigenen Spuren ganz auszulöschen (die Puppe). Gegen Ende ihres Lebens wird Irmtraud Morgner erkennen: "Meine Mutter hat immer meine Werke zerstört. Das höchste meiner Werke ist der Mut trotz alledem."

Irmtraud Morgner ist als Frau gezweiteilt - und als von der Bildungsklasse Ausgestoßene noch einmal. Irmtraud Morgner ist gevierteilt. Ihr Leben lang hat sie gegen diese Teilung angelebt und angeschrieben. Ihre Utopie war der ungeteilte Mensch. Doch irgendwann mußte Morgner erkennen, daß sie alleine war. "Je besser ich als Dichterin wurde, desto schlechter ging mir's... Eine Frau, die dichtet oder dergleichen, muß mit gnadenloser Einsamkeit rechnen."

Es machte ihr Leben eher schwerer als leichter, daß Irmtraud Morgner sich, wie viele Frauen, immer wieder in den Traum von der Liebe flüchtete - und Tendenz hatte, die Männer an ihrer Seite zu idealisieren. Die Desillusionierung ließ nie lange auf sich warten. In einem Fall ging es so weit, daß ihr Gefährte, der Schriftsteller Paul Wiens, sich als Mitarbeiter der anderen Seite, der gehaßten Stasi, entpuppte.

Doch von alldem ahnte die Morgner noch nichts beim Aufbruch der frühen 70er Jahre. Ihr erster großer Wurf, der Roman "Trobadora Beatriz", ist zwar durchdrungen vom Wissen um die Realitäten, aber getragen von der Hoffnung auf Veränderungen. Er ist mitreißend heiter und übermütig und wird schnell berühmt in Ost wie West. Auch die Genossen können der Morgner die literarische Anerkennung nicht versagen.

Gleichzeitig aber beginnt der politische Kleinkrieg. Der Alltag der Dichterin Morgner ist in den 80er Jahren überschattet von den Tyranneien der Zensur und der Stasi, gegen die sie sich nicht zuletzt auch deshalb nur schwer wehren kann, weil sie Repressalien für ihr Kind befürchtet. Die Erblindung ihrer Romanfigur Laura im dritten Teil ist keine Fiktion, auch Irmtraud Morgner selbst erblindet phasenweise. Sie kann und will einfach nicht mehr sehen.

Das Erscheinen von "Amanda. Ein Hexenroman" wird lange behindert, und der dann veröffentlichte Text "stinkt nach innerer Zensur" (Morgner). Auch hier ist ihre Heroin zweigeteilt: in die in Ostberlin malochende Laura und die auf dem Brocken hexende Amanda - die sich allerdings selbst als Hexe beim Oberteufel Kolbuk prostituieren muß, sonst ist kein Durchkommen für eine Frau.

Trotz innerer Zensur steht in "Amanda" immer "noch zuviel drin. Fürn Teufel zuviel, fürn Menschen zuwenig" (Morgner). "Amanda" ist dennoch DER Roman über die Stasi - und hätte eigentlich spätestens Anfang der 90er endlich offen als solcher wahrgenommen werden müssen.

Im Mittelpunkt des jetzt veröffentlichten Romanfragments steht die DDR-Artistin Herta Kowalczik, die sich selbst einen Mann aus der Rippe schneidet. "Wenns keen Mann ham, müssense sich embh een ausn Rippen schneidn", nölt die DDR-Sachbearbeiterin der Kommunalen Wohnungsverwaltung bei Hertas Versuch, alleine eine Zwei-Zimmer-Wohnung zu kriegen. Dieser göttliche Akt kostet Herta, genannt Hero, allerdings fast das Leben: er passiert bei einem gescheiterten Selbstmordversuch. Und - er wird nie Realität. Der neue Adam namens Leander spiegelt sich nur in den Gerüchten über die dreiste Tat der Kowalczik.

"Mein Antrieb wäre nicht, Kunst zu machen..." Irmtraud Morgners Platz in der Welt war vergänglich - ihr Platz in der Kunst ist unvergänglich.
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