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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1983-12-a
Formatangabe: Bericht; Dossier
Link: Volltext
Verfasst von: Scheu, Ursula
In: EMMA
Jahr: 1983
Heft: 12
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Schwestern, zerreisst eure Ketten

Sie sind die Urgroßmütter unserer Urgroßmütter und hatten doch schon den gleichen Elan zur Befreiung! den gleichen Mut (wenn nicht noch mehr)! und -die gleichen Männer! Männer, die, ob konservativ oder fortschrittlich, ob reaktionär oder revolutionär, vor allem ein Mittel kannten, auf die Forderungen der Frauen zu reagieren: das Mittel des Nichternstnehmens,
des Todschweigens, des Lächerlichmachens. Daß Konservative und Reaktionäre so handeln -wen wundert's. Daß Fortschrittliche und Sozialisten so handeln -das wundert manche Frauen immer noch. Obwohl die Geschichte hundertfach beweist, daß auch diese Männer nur Männer sind und die Menschwerdung der Frauen nicht im Sinn haben, weil es auf Kosten ihrer Männer-Privilegien ginge -obwohl man uns diese bittere Lektion immer wieder erteilt, fallen Frauen immer wieder darauf rein. Auch heute wieder. Mehr noch: sie machen mit bei dem bei dem Frauenverrat. So wie Clara Zetkin, die im Namen des Sozialismus die Frauen ans Heim binden wollte. Selbst was die Frauenfreunde unter den Genossen angeht, müssen wir umlernen. Engels, Bebel, sie alle nahmen bestenfalls auf, was Frauen gegen das allgemeine Hohngelächter in die Welt schrien. Doch wenn es opportunschien, ließen sie auch ihre eigenen Kampfgefährtin-nen fallen. In dieser Folge geht es um das Recht auf einen Beruf, für das Frauen auch des frühen 19. Jahrhunderts kämpften wie die Löwinnen. Ein Teil der elementarsten Menschenrechte? Nicht für Frauen, fanden die Genossen.

Wir verlangen jetzt von der neuen Zeit ein neues Recht!" So sprach Louise
Aston. Und mit ihr fordern hunderte, ja tausende von Frauen die Befreiung aus der "Leibeigenschaft" des Ehemanns und der "Galeerenstrafanstalt" Haushalt. Sie fordern das Recht, sich "den Lebensunterhalt selbst ver-dienen zu können". Sie for-dern die Abschaffung der "Zurücksetzung in der Erziehung" der Mädchen und die des "Monopols der Männer in der Gelehrsamkeit". Sie fordem, daß "unsere Rechte in der Ehe völlig gleich sind". Sie verlangen ihren "Anteil an der Freiheit dieses Jahr-hunderts", Sehnsucht, die die französische Revolution Ende des 18. Jahrhunderts wieder einmal den Menschen ins Herz gepflanzt hatte. Man schreibt das Jahr 1846. An der Seite der Männer kämpfen Frauen aller Klassen in der bürgerlichen Revolution um Menschenrechte. Sie kämpfen mit der Stimme, der Feder, der Waffe ("bewaffnete Amazonen"). Gleich den Männern. Sie kämpfen einen doppelten Kampf: gegen Ob-rigkeitsstaat und gegen Pa-triarchat, gegen "die Unge-rechtigkeit, mit welcher die irdischen Güter, Macht und Gewalt, zwischen Mann und Weib verteilt sind". Sie sind "Frauen aus dem Volke, schlichte Bürgerinnen, Arbeiterinnen, Bäuerinnen". Sie streiten allein und organisiert. Im ganzen deutschen Staaten-Bund existieren sie, die sogenannten "Frauenver-eine". 1850 hat allein der "demokratische Frauenverein Mainz" 1700 Mitglieder. Denn: "Solange wir uns nicht in gemeinsamen Beratungen aussprechen und unsere An-sichten gegeneinander aus-tauschen, haben wir keine Basis, auf die wir aufbauen und von Worten zur Tat übergehen können." (so Louise Dittmar 1849). Ihr Ziel: ein "Schwesternbund". Ihre Hoffnung: "Dann würden wir aufhören, ein schwaches Geschlecht zu sein und durch uns selbst groß, stark und frei werden."
Obwohl - oder wohl gerade weil - der Kampf der Frauen seit Jahren hohe Wellen schlägt und in Versammlungen und Schriften schärfste Reaktionen provoziert, hinterläßt er keine Spuren: weder in der "Erklärung der Menschenrechte des deutschen Volkes" von 1848 noch im "Kommunistischen Manifest", der im gleichen Jahr erschienenen "Erklärung der Arbeiterrechte"."Dem
Männerrecht nur galt das Ringen, das Frauenrecht blieb in den alten Schlingen", deklamiert Louise Otto. "Wohl spricht man viel von Freiheit für alle, aber man ist gewöhnt, unter dem Wort ,alle' nur die Männer zu verstehen," kommentiert Louise Dittmar 1849 die Lage im Jahre 1849. Verstärkt nehmen nun die Frauen selbst ihre Angelegenheiten in die Hand. Voraussetzung zur ersehnten Freiheit ist für die Frauen der mittleren Stände die ökonomische Eigenständigkeit, das heißt das Recht auf Lohnarbeit. Ein Recht, das Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts weniger haben als in den Jahrhunderten zuvor. Die wirtschaftlichen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts, vom Handwerk zur Fabrikarbeit, hatten auch in das Leben der Frauen tief eingegriffen. Die Lage privilegierterer Frauen wurde durch ihre Verdrängung aus der Bildung, aus qualifizierteren Tätigkeiten und aus den Zünften ver-schlechtert. Die Lage der Frauen aus den "unteren" Ständen auch: sie strömten in die expandierende Industrie, wo man sie zu menschenschindenden Bedingungen und Hungerlöhnen ausbeutete.
Frauen und Kinder sind es, die zu Beginn der industriellen Revolution die Mehrheit der Fabriksklaven stellen. Begrenzt auf nur wenige Erwerbszweige machen sie sich untereinander "Konkurrenz", was ihre Löhne noch tiefer drückt. "Unter den arbeitenden Klassen ist jetzt das Weib viel schlimmer daran als der Mann. Es kann sich tagelang abmühen und wird doch kaum halb soviel verdienen als er," schreibt Louise Otto 1849. Nach einem 18-Stunden-Tag in der Fabrik hat die Arbeiterin noch Haus- und Kinderarbeit zu verrichten, für die sie allein zuständig ist.
Den Frauen aus den "mittleren" Ständen bleibt nur die Heimarbeit, mit der sie wiederum den Fabrikarbeiterinnen Konkurrenz machen. Oder die Tätigkeit als Erzieherin oder Lehrerin. In ihrem Stand durfte, so Louise Otto, "der Sohn in 2 bis 3 Tagen oft mehr für Bier und Zigarren im Wirtshaus ausgeben, als die Tochter Taschengeld im ganzen Monat".
"Ein Hauptaugenmerk für uns Frauen muß gegenwärtig auf das Bestreben gerichtet sein, uns die Mittel zur Unab-hängigkeit zu erwerben. Er werb!" deklariert Louise Dittmar 1849 und spricht damit vielen Frauen der bürgerlichen Stände aus dem Herzen. Doch wie dieser Forderung Gehör und Gewicht verschaffen? Die Frauen organisieren sich. Und sie beginnen, Zeitungen zu gründen. Vermutlich war es eine ganze Flut von Frauenzeitschriften, die in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts erschienen. Nur von vieren sind heute noch Spuren erhalten: das ist "Die Freischärlerin", herausgegeben von Louise Aston; "Die soziale Reform", herausgegeben von Louise Dittmar; "Die Frauenzeitung", herausgegeben von Mathilde Franziska Anneke; und "Die Frauenzeitung", herausgegeben von Louise Otto-Peters (geborene Otto, später verheiratete Peters). Der Ruf der deutschen Feministinnen-Gazetten war so groß, daß er bis Amerika drang.
Die ehemalige 48er-Kämpfe-rin und Feministin Louise Otto kümmert sich vor allem um die Rechte der erwerbstätigen Frauen. Sie versucht immer wieder, mit den Sozia-list/inn/en zusammenzuarbeiten. Sie gründet Dienstboten-, Näherinnen- und Arbei-terinnenvereine und erfährt dabei: "Die Schwierigkeiten sind tausendmal größer als diejenigen, die bei der Orga-nisation der Arbeiter ange-troffen werden, da diese im-mer bestimmte Kooperatio-nen bildeten, als Gesellen-und Zunftgenossen." Louise Otto appelliert an die Solidarität der neu entstehenden, sozialistisch orientierten Gewerkschaftsvereine und Parteien: Sind es nicht eure "Frauen, Schwestern, Mütter und Töchter, deren Interesse es zu wahren gilt?" Leiden sie nicht "wie ihr unter den Herrenrechten des Geldes, unter der Übermacht des Kapitals, unter dem Druck tyrannischer Arbeitgeber und einem Übermaß an Konkurrenz?" Und sie flehte: "Es liegt das Los der Arbeiterinnen in eurer Hand, Arbeiter!" Vergebens. Die Mehrheit der Handwerker und Arbeiter weigert sich schlicht, sich gemeinsam mit den Frauen zu organisieren. Ausnahmen sind vereinzelt, in Gegenden,
in denen Männer in der ex-tremen Minderheit waren, wie in der sächsischen Textilindustrie, die eine reine Frauenindustrie ist. Und sie gehen noch weiter, diese Männer: Sie sprechen ihren eigenen Frauen, Töchtern und Schwestern nun sogar den Zugang zur Fabrikarbeit einfach ab. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise von 1848 versuchen die Arbeiter, die Arbeiterinnen aus der Lohnarbeit wieder hin-auszudrängen.
Ganz besonders tun sich dabei die Zigarren- und Tabakarbeiter, die Weber und Schneider hervor. Sie fordern staatliche Maßnahmen, um die Arbeiten der "Pfuscherin-nen", wie sie die Frauen nennen, zu unterbinden. Frauen wie Louise Otto antworten darauf mit der Mahnung, "nicht Mißbrauch des Rechtes der Stärkeren zu betreiben", nicht zu versuchen, "Die Hälfte der Menschheit für Kinder und Unmündige zu erklären". Vergeblich.
Als 1850 das Vereinsgesetz erlassen wird, das "Frauen und Minderjährigen" jegliche Teilnahme an politischen Organisationen verbietet, protestiert nicht ein einziger Sozialist: Die Linken empören sich lediglich über den Ausschluß der Jugendlichen. Die Kom-plizenschaft von Staat und Staatsgegnern, von Bürgern und Arbeitern, von Kapitali-sten und Genossen macht es möglich, daß nicht nur die Frauenvereine aufgelöst, sondern auch noch die Frauenpresse verboten wird: Nach der "Lex Otto" dürfen von nun an nur noch männliche Personen die Redaktion einer Zeitschrift führen. "Die Frauen müssen ihre Sache selbst führen, sonst ist sie von vornherein verloren." -Wie wahr, dieser Satz von Louise Otto-Peters. Nunkonnten sie nichts mehr führen: selbst die Stimme war ihnen genommen worden. Es sollte 15 Jahre dauern, bis Frauen um Louise Otto-Peters 1865 wieder einen "Allgemeinen deutschen Frauenverein" ins Leben rufen konnten. Und weitere 15 Jahre, bis diese zweite Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts in etwa ' die Stärke der ersten erreichte. Louise Otto-Peters war nach dem augenblicklichen Kenntnisstand eine der wenigen, die in beiden Phasen des feministischen Kampfes aktiv war.
Erklärtes Ziel des "Allgemeinen deutschen Frauenyerein": "Alle der weiblichen Arbeit im Wege stehenden Hindernisse" zu beseitigen und entschieden "jeglicher Verneinung der Berechtigung der Frauenarbeit wegen Uberbürdung des Arbeits-marktes entgegenzutreten". Für kurze Zeit finden sie innerhalb der Arbeiterbewegung Unterstützung durch eine kleine Zahl von Soziali-sten, mit denen sie gemeinsam "für die Sache des Proletariats" kämpfen und zum Teil eng befreundet sind, wie Louise Otto-Peters mit August Bebel. Dieser kleine Sozialisten-Kreis gesteht den Frauen das Recht auf Erwerb zu und das Recht, sich als Lohnabhängige zu organisieren. Er fordert, daß es "Aufgabe der Arbeitervereine sein muß, im gleichen Sinne wie die Arbeiter Arbeiterinnen-vereine zu gründen". Er fordert die moralische und materielle Unterstützung der Feministinnen.
Doch die Haltung macht keine Schule bei den Sozialisten. Sie bleibt einsame Ausnahme in der Geschichte der Arbeiterbewegung. So muß selbst die kooperationsbereite Louise Otto-Peters 1866 bitter feststellen: "Die (sozialistische) Partei beweist, daß sie ihr Reich der Freiheit gründen will auf der Sklaverei der Frauen".
Einer der ersten stolzen Entschlüsse der 1872 gegründeten sozialistischen Einheits-Gewerkschaft: "Gegen alle Frauenarbeiten in den Fabriken und Werkstätten zu wirken und dieselbe abzuschaffen". Selbst die Minderheit der frauenfreundlichen Sozialisten stimmt zu - um der Einheit der Arbeiterbewegung willen. . .
Sozialistische Begründung des Frauenarbeitsverbotes: Die "Natur" der Frau. Die Frau sei "grundsätzlich vom Manne verschieden, bei ihr herrscht das Gemüt vor". Und die "Natürlichkeit" der Familie. "Die Familie ist eine primitive Assoziation und birgt in sich die von Natur gebotene Arbeitsteilung". Mehr noch: "Den Frauen gehört die Haus- und Familienarbeit." (So die Sozialist/inn/en-Argumente in öffentlichen Reden und Schriften.) Schon 1866 hatte die Internationale Arbeiter-Assoziation unter den Augen von Marx und Engels in einer Denkschrift verkündet, sie wolle für Zustände kämpfen, "worin jeder herangereifte Mann ein Weib nehmen kann, eine durch Arbeit gesicherte Familie gründen". Die Frauen sollten "neben den ernsten und öffentlichen und Familienpflichten des Mannes und Vaters die Gemütlichkeit und Poesie des häuslichen Lebens vertreten (...) und Anmut und Schönheit in die gesell-schaftlichen Umgangsformen bringen und den Lebensgenuß der Menschheit veredelnd erhöhen". Und aus der Feder Friedrich Engels stammen Sätze wie: "Die Familie ist in Gefahr" und wird "auf den Kopf gestellt", wenn die "Frau die Familie ernährt". Die Er-werbstätigkeit der Frau "führte zur Vernachlässigung der Familie". Kurzum.: "Man kann sich denken, welche gerechte Entrüstung diese tatsächliche Kastration bei den Arbeitern hervorruft" (alles Engels- Original- Zitate). "Wer nicht frei erwerben darf, ist Sklave", antwortet Louise Otto-Peters. Und: "Wir glaubten, (. . .) daß Arbeiter und Arbeiterinnen als Bundesgenossen auftreten. (...) Aber das Gegenteil ist der Fall." Die Arbeiterpartei mache "mit den Bourgeois und Reaktionären gemeinsam gegen die Erwerbstätigkeit (der Frauen) geltend mit (. . .) dem sentimentalen Hinweis auf die Bewahrung zarter Weiblichkeit und die Gemütlichkeit des Familienlebens". Dennoch erstarkt diese zweite feministische Bewegung in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. "Sie wurde zum Faktor, mit dem die politischen Männer zu rechnen hatten." Doch: Je mehr Frauen sich organisieren, umso vielfälti-ger werden ihre Interessen, umso uneiniger werden sie. "Kampf setzte ein, und zwar nicht nur der Kampf mit der Umwelt im Männerstaate, sondern in der deutschen Frauenwelt selbst, wo sich
zwei Richtungen gegenüberstanden. Die konservative wollte, immer unter Betonung der Andersartigkeit des weiblichen Geschlechts, den Frauen Bildungs- und Berufsmöglichkeiten schaffen, um ihnen stufenweise über soziale Tätigkeit in der Gemeinde das Hineinwachsen in eine helfende und unterstützende Betätigung im bestehenden Männerstaat zu er-möglichen." (So Lida Gustava Heymann, Feministin der zweiten Phase, in ihren Memoiren). Die Radikalen fordern im Gegensatz zu den Konservativen und Reformistinnen die völlige Gleichheit der Frau mit dem Manne in allen gesellschaftlichen Bereichen und das sofort. Und als allererstes im Beruf. "Auf dem Gebiet der Arbeit geht der Entscheidungskampf vor sich, denn die wirtschaftliche Bedeutung eines Geschlechts entscheidet über seine geistige und moralische Macht." (Käthe Schirrmacher) Die Radikalen fordern eine gleiche Bewertung von Frauen- und Männerarbeit: "Die bisherige Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern hat sich nach dem Recht des Stärkeren vollzogen. Die Frauenbewegung strebt nur eine Arbeitsteilung nach dem Rechte des Fähigeren an, sei dies der Mann oder die Frau, das heißt, sie strebt nach der Aufhebung des Geschlechtsvorteils. (. . .) Im Namen dieses Grundsatzes wird sich eine bedeutende Erweiterung des Arbeitsgebietes der Frau in Breite und Höhe bewirken. In Breite, wenn prinzipiell das einzelne Individuum jeden, auch den sogenannten ,Männerberuf ergreifen kann; wenn sich prinzipiell den weiblichen Massen die neu-tralen Berufe ebenso weit öffnen, wie bisher allein dem Manne (Handel, Bankwesen, Lehrfach, Staats- und Gemeindedienst, freie Berufe). In Höhe, wenn die Frau durch gleichwertige Berufsausbildung und Abschaffung aller gesetzlichen Hindernisse die gleiche Anwartschaft auf bessere Stellen erhält und auch hier eine Arbeitsteilung nach Fähigkeit die Arbeitsteilung nach Geschlecht verdrängt." Das schrieb Käthe Schirrmacher vor über hundert Jahren. . .
Parole der radikalen Feministinnen des 19. Jahrhunderts: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Es galt, "dem Manne den Teil seines höheren Verdienstes zu entreißen, den er als Geschlechtsprämie des Herrenrechtes erhält!" (Hedwig Dohm). Nun erließ der Männerstaat mit Zustimmung der Sozialisten
sogenannte "Arbeiterinnenschutz-Gesetze". Begründung: die spezifischen Pflichten der Frauen, die "ein
Hauswesen zu besorgen haben".
Die radikalen Feministinnen erkennen die "Schutz"-Gesetze sehr rasch als Vorwand: als Versuch, Frauen zu diskriminieren, ihre Löhne zu senken, sie aus den Fabriken zu drängen. Dennoch: Auch Sozialistinnen, die im Namen ihrer Partei Fraueninteressen vertraten, plädieren für die "Schutz"-Gesetze und gegen
gleiche Rechte. Die Paradefrau der Sozialisten, Clara Zeltkin,nennt klar ihre Prioritäten: "Das Recht der Frau auf gleiche Bildung und Berufstätigkeit unter kapitalistischen Bedingungen verschärft den wirtschaftlichen Kampf und sozialen Konkurrenzkampf der Geschlechter." Längst kommen auch die so
zialistischen Männer um die ökonomische Notwendigkeit der Frauenarbeit nicht mehr herum. Aber wenn Frauen schon Konkurrenz am Arbeitsplatz werden, so sollen sie dies nur begrenzt sein können und deutlich in ihre Grenzen gewiesen werden. Sicher, es seien "viele Arbeiterfamilien auf den Erwerb der Frauen angewiesen und viele finanziell in Not geratene Frauen würden sonst in den Hungertod oder in die
Prostitution getrieben" (Clara Zetkin). So die offi-zielle Sozialisten-Argumentation zur Frauenerwerbstätigkeit. Nur eine Minderheit Selbstkritischer gesteht: "Wir wollen uns nicht besser machen, als wir sind. Nicht um der schönen Augen des Prin- zips willen stellen wir diese Forderungen auf, sondern im Klasseninteresse des Proletariats." (Clara Zetkin). So ist es nur konsequent, daß die Sozialisten gleichzeitig die Beschränkung der Erwerbs-möglichkeiten für Frauen fordern mit genau denselben Argumenten wie der Staat! "Ausschluß der Frauenarbeit aus Arbeitszweigen, die speziell gesundheitsschädlich für den weiblichen Körper oder für das weibliche Geschlecht sittenwidrig sind" (offizieller Beschluß des Vereinigungsparteitages der Sozialisten, 1875). Und mit erhobenem Zeigefinger: "Vielen Frauen erwächst die doppelte Pflicht, sie müssen in den Fabriken und in der Familie tätig sein, umso notwendiger ist für die Arbeiterinnen eine Festset-zung eines gesetzlichen Arbeitstages."
Friedrich Engels bleibt es vorbehalten, dem sozialisti-schen Sexismus die Krone aufzusetzen mit den Worten: "Mich, ich gestehe es, interessiert die Gesundheit der kommenden Generation mehr, als die absolute formelle Gleichstellung der Ge-schlechter während des letz-ten Lebensabends der kapitalistischen Produktionsweise."
Noch deutlicher werden seine Genossinen: "Wir stellen unsere Forderungen auf Schutz der Frauen nicht im Interesse unseres Geschlechts, sondern zur Förderung der Interessen der ganzen Gesellschaft." "Endziel des Kampfes" könne "nicht die freie Kon-kurrenz mit dem Manne, sondern nur die Herbeiführung der politischen Herrschaft des Proletariats" sein, so Clara Zetkin. Viel Zustimmung bekommt Clara Zetkin, noch heute von Linken als "Frauenrechtlerin" gefeiert, auf einem sozialistischen Kongreß für die Worte: "Wenn der Proletarier sagt: ,Mein Weib', setzt er in Gedanken hinzu: ,die Genossin meiner Ideale, die Gefährtin meiner Kämpfe, die Bildnerin meiner Kinder zum Zukunftskampfe'. So manche Mutter, so manche Gattin, die Mann und Kinder mit Klassenbewußtsein erfüllt, leistet genausoviel wie die Genossinnen, die wir in unseren Versammlungen sehen." Zetkin forderte die Frauen auf, "an allen Mühen und Opfern des Kampfes teilzunehmen". Sie kündigte lediglich an, daß Frauen ,nach dem Sieg alle ihnen zukommenden Rechte fordern" würden. -Naivität? Mangelndes Bewußtsein? Opportunismus mit den Männern? Wahrscheinlich alles ein wenig. Die Radikalfeministinnen hatten
sich nun nicht nur gegen die Mächtigen im Staat, gegen die Reformistinnen und gegen die Genossen zu wehren, sondern auch noch gegen die Genossinnen.
Spöttisch reagierte Anita Augspurg auf den Verrat Zetkins: "Wenn Clara Zetkin von den Männern einer zur Herrschaft gekommenen So- zialdemokratie erwartet, daß sie die politischen Rechte, auf welche Frauen heute freiwillig verzichten, freiwillig auf die Frauen ausdehnen, dann hat sie, die doch soviel auf die Lehr der Geschichte gibt, aus ihr wenig gelernt." Anita Augspurg sollte mehr recht behalten, als ihr lieb sein konnte. . . Was allerdings Clara Zetkin nicht an dem heute noch vielzitierten Ausspruch hindern konnte: "Die Bürgerliche Frauenbewegung hat in ihrer Frühzeit, aber auch später noch, wertvolle Förderung durch das Proletariat erhalten."
Wie dann der Wert dieser Förderung durch das Proletariat beim Kampf von Frauen um Wahlrecht und Bürgerrecht zum tragen kam, wird im zweiten Teil dieses Textes darzustellen sein.

URSULA SCHEU
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