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Männer raus ... : aus der Wissenschaft

Verfasst von: Rauch, Judith
in: EMMA
1987 , Heft: 7 , 34-35 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1987-7-a
Formatangabe: Kommentar
Link: Volltext
Verfasst von: Rauch, Judith
In: EMMA
Jahr: 1987
Heft: 7
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Ich war Biologin, jetzt bin ich Journalistin. Ich bin mit Begeisterung in die Wissenschaft eingetreten und mit Unbehagen gegangen. In meinem jetzigen Beruf habe ich mehr Abstand; ich habe Gelegenheit, die Wissenschaft von außen und als Ganzes zu sehen. Und ich muß sagen: Jetzt graust es mir manchmal vor der Wissenschaft.

"Bin ich doch zu dir gekommen, daß ich die Natur und alle ihre Kinder vor dich führe, damit sie dir dienen und du sie zu Sklaven machst." Das schrieb der Engländer Francis Bacon (1561—1626) an seinen Sohn. Die programmatische Schrift, eine Art offener Brief, trug den Titel "Die maskuline Geburt der Zeit". Francis Bacon ging noch weiter: Die Natur, in der Bildersprache seiner Zeit als weiblich vorgestellt, sollte nicht nur versklavt, sondern regelrecht "gefoltert" werden, damit sie ihre Geheimnisse preisgebe. Bacon war nicht nur der "Vater der modernen Naturwissenschaft", er war auch Generalstaatsanwalt des englischen Königs James I. und als solcher direkt an den Hexenverfolgungen beteiligt. In seinen "wissenschaftlichen" Schriften wimmelt es von Metaphern aus der Folterkammer, von Vergewaltigungs- und Penetrationsphantasien. "Das Baby wird erwartet." Mit diesem Telegramm wurde im Juli 1945 der Physiker Richard Feynman, kurzfristig abwesend von Los Alamos, ins Lager der Atombombenbauer zurückbeordert. Der entscheidende Bombentest stand bevor. Die Atombombenbauer von Los Alamos (die besten Kernphysiker ihrer Zeit) sprachen grundsätzlich von Babies, wenn sie die Bomben meinten. Gelungene Explosionen wurden "boys", mißlungene "girls" genannt.

Was ist los mit der Wissenschaft? Was ist los mit den Männern? Sind sie denn alle verrückt geworden?

Für Frauen, die ein Interesse haben an der Wissenschaft, gab es bisher scheinbar nur zwei Möglichkeiten, auf den Männlichkeitswahn in der Wissenschaft zu reagieren: Ihn ignorieren und einfach mitmachen. Oder das Gegenteil tun und eine Art "weiblicher Anti-Wissenschaf t" konstruieren.

Der erste Weg beruht auf einer Illusion. Es ist eine Illusion zu glauben, daß die gleichen Männer, die die Natur und die Frauen unterjochen wollen (wobei sie nicht zufällig Frau und Natur miteinander gleichsetzen), Frauen in der Wissenschaft als Gleichberechtigte akzeptieren würden. Sicher, es hat immer Ausnahmen gegeben. Es hat immer auch Wissenschaftler gegeben, die vom Männlichkeitswahn nur gering oder gar nicht infiziert waren. Und es hat immer auch Fraugen gegeben, die sich trotz alledem nicht einschüchtern ließen. Die Versuche von Frauen, sich Zutritt zur Männerwelt Wissenschaft zu erzwingen, begannen früh. Carolyn Merchant, der wir die zur Zeit meistdiskutierte feministische Analyse der Wissenschaftsgeschichte verdanken (die Bacon-Zitate stammen aus ihrem Buch "Der Tod der Natur") erwähnt einige dieser Frauen, die,, von der Faszination der .neuen Wissenschaft' ergriffen, zu einem aufnahmebereiten Publikum für die neuen Ideen" wurden.

Margaret Cavendish, die Herzogin von Newcastle, die Bücherüber Atome, Flöhe und die Unendlichkeit schrieb, ist so eine. Sie erkämpfte sich 1666 sogar einen Besuch der rein männlichen "Royal Socie-ty", der ersten modernen wissenschaftlichen Vereinigung. Ebenso Madame du Chätelet. Sie übersetzte im 18. Jahrhundert die Werke Isaac Newtons ins Französische. —Während noch die Scheiterhaufen der Hexenverfolgung brannten, schlugen sich die Opportunistinnen aus den besseren Kreisen bereits auf die Seite der neuen Machthaber, der Männer der Wissenschaft.

Ich kann diese Frauen verstehen. Wie von jeder Revolution erwarteten sich Frauen auch von der wissenschaftlichen Revolution des 16./17. Jahrhunderts eine Verbesserung ihrer eigenen Lebensbedingungen. Was sie faszinierte, war das Wissen: waren Rationalität, Berechenbarkeit und Objektivität eines neuen — wissenschaftlichen — Weltbildes, die im Gegensatz standen zur Willkür theologischer Lehr-meinungen. Rationalität könnte eine gute Grundlage sein für mehr Gleichberechtigung — so hofften sie. Ich kann aber auch die Frauen bis zu einem gewissen Grade verstehen, die heute — in klarer Erkenntnis, daß die Männerwissenschaft dabei ist, die Welt zugrundezurichten! — dieses ganze System in Frage stellen.

Sie gehen den zweiten Weg. Sie lehnen alles auf einmal ab: Mit gutem Grund verurteilen sie den Verlust ganzheitlichen Denkens ebenso wie die im Wissenschaftsbetrieb herrschende mörderische Konkurrenz. Zu Recht vermissen sie den Kontakt der Forschung zur sozialen Lebenswelt. Gleichzeitig aber werfen sie auch "die zweiwertige Logik, die quantifizierte Methodik, die hierarchische Ordnung von Denkweisen, Theorien und Gesetzen" mit über den Haufen (Ina Wagner im Sammelband: "Wie männlich ist die Wissenschaft?"). Was kommt dabei heraus? Wo landen wir, wenn wir als Frauen das herrschende Modell der Wissenschft einfach in sein jGegenteil verkehren? Die deutsche Öko-Feministin Sarah Jansen (1983 bis 1985 Mitarbeiterin der grünen Bundestagsfraktion) hat es uns vorexerziert: Als "feministische Alternative zur pa triarchalen Naturnutzung" riet Jansen den Frauen (auch den Wissenschaftlerinnen und Technikerinnen, die sich 1984 zu ihrem 10. Jahrestreffen in Stuttgart versammelten), "matriarchale Traditionen im Umgang mit der Natur" aufzuspüren. Vorwissenschaftliche, , .magische'' Techniken sollten wieder ausprobiert werden, meinte Sarah: "Handlungen, mit denen Menschen versuchen, mit Wesen in Kontakt zu kommen, von denen sie wissen, daß sie das Schicksal ihres Handelns beeinflussen." Wir leben im 20. Jahrhundert. Auch Frauen leben im 20. Jahrhundert. Wir haben nicht mehr den direkten Draht zu Mutter Natur. (Hatten wir ihn je?) Wir sitzen nicht mehr auf den Bäumen. Wir haben denken gelernt. Sarah Jansen und die Frauen, die eine "naturnahe", "weibliche" Wissenschaft fordern, machen einen großen Fehler: Sie stellen das Definitionsmonopol der Männer nicht infrage. Da ist sie wieder: die uralte Identifikation der Frau mit der Natur. Die uralte Ideologie von männlicher Logik und weiblicher Einfühlsamkeit. Diesmal aus Frauenmund. Doch wenn Frauen innerhalb der Schranken männlicher Definitionen bleiben, landen sie in der Falle. Heraus aus der Falle führt nur ein dritter Weg, an den ich hier erinnern möchte. Es ist die Strategie des nüchternen Blicks, dennur Außenseiter haben können. Ganz wie das Kind im Märchen, das geradeheraus sagt: "Der Kaiser hat ja gar keine Kleider an!" — genauso sollten wir Frauen uns die Freiheit nehmen, die herrschende Wissenschaft ganz nüchtern anzuschauen und zu sagen: Diese Wissenschaft ist ja gar keine! Wieso glauben wir eigentlich den Männern, wenn sie uns den Bau von Atombomben als Wissenschaft verkaufen? Wenn sie ihren — hochpathologischen — Gebärneid und ihren Größenwahn ausleben auf Kosten der Mehrheit der Menschen? Was bitte haben der irrationale Frauenhaß und der Sadismus einer Fran-cis Bacon mit Wissenschaft gemein? Ist das nicht eher Pornographie ? Was ist denn dran an der vielgepriesenen "Wertfreiheit" der Wissenschaft, wenn 50 Prozent der (zumeist männlichen) Physiker im Sold der Militärindustrie stehen? Wo ist denn — zum Beispiel in der modernen Gen-Industrie — die Selbstkontrolle der Wissenschaft geblieben, die vielbeschworene Verantwortung des Wissenschaftlers?

Ich bin dafür, daß wir ganz einfach aufhören, die Männerwissenschaft Wissenschaft zu nennen! Ein System, das so voller Widersprüche, Irrationalität und Vorurteilen steckt, taugt nicht zur Produktion von zuverlässigem Wissen. Wir brauchen nicht die Natur zu bemühen, um die Männerwissenschaft zu kritisieren. Der Verstand genügt. Wie also sähe eine wirkliche Wissenschaft aus? Ich bin nicht gegen das Messen und Rechnen, nicht gegen das Experimentieren und Analysieren. Es schadet weder den Frauen noch der Natur, wenn Erkenntnisse präzise und stückweise gewonnen werden. Nur wenn die Stücke nicht wieder zu einem Ganzen zusammengesetzt werden, wenn das Teilen zum Selbstzweck wird, wird es unvernünftig. Ich habe nichts gegen Konzentration und das Sich-versenken in Details. Aber ich bin gegen die Reduktion der forschenden Persönlichkeit. Ich habe großes Verständnis für leidenschaftliches Grübeln und echte Devotion; aber ich finde es gefährlich, wenn der Realitätssinn verlorengeht und die Wissenschaft zu einer Traumwelt für Größenwahnsinnige wird. Oder zur Spielwiese für unreife Bastler, die nicht wissen oder nicht wissen wollen, woran sie basteln. Ich habe auch nichts gegen die Anwendung von Wissenschaft im Interesse der Menschheit oder von Menschengruppen. Ich verachte aber den Ausverkauf von Wissen an die jeweils Mächtigen. Noch schlimmer finde ich es, wenn Wissende sich wider besseres Wissen korrumpieren lassen.

Ich bin — als Feministin — nicht für eine frauenspezifische, ja nicht einmal für eine feministische Wissenschaft. Die kann ich mir genausowenig vorstellen wie eine linke oder grüne Wissenschaft. Ich bin nur für feministische Fragestellungen und eine feministische Interessenvertretung. Wissenschaft aber muß allgemein sein. Hitler wollte eine "deutsche Physik"; es war eineschlechte Physik. Ich bin ganz einfach für eine gute und vernünftige Wissenschaft.

Männer waren in ihrer Gesamtheit bisher nicht in der Lage, eine solche vernünftige Wissenschaft zu schaffen. Wir haben heute nicht den "Tod der Natur" zu beklagen (dazu ist sie zu groß und zu lebendig). Wir müssen aber den Tod einer Wissenschaft zur Kenntnis nehmen, die von Anfang an am Männlichkeitswahn krankte und sich nie davon erholte. Frauen hatten bisher wenig Gelegenheit zu beweisen, ob sie gute Wissenschaftlerinnen wären. Die ersten Ansätze waren aber vielversprechend. Was mir vorschwebt ist: eine Wissenschaft ohne Männer. Zumindest ohne Männlichkeitswahn. Bisher existiert die nur in unseren Köpfen, die wir freiräumen müssen von dem, was uns die Männer gelehrt haben, Wissenschaft zu nennen. Es ist eine Frage der Zeit und der Machtverhältnisse, wann wir sie ausüben können—die Wissenschaft. Aber fangen wir sofort an, sie zu denken!

JUDITH RAUCH
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