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Wie "stern" und "Courage" die Haut von Frauen zu Markte tragen ...

Verfasst von: EMMA
in: EMMA
1984 , Heft: 1 , 63 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1984-1-a
Formatangabe: Kommentar
Link: Volltext
Verfasst von: EMMA
In: EMMA
Jahr: 1984
Heft: 1
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Wie "stern" und "Courage" die Haut von Frauen zu Markte tragen…

Es gibt in der Medien-Brache das krasse, aber ehrliche Schlagwort von der "Arsch- und Tittenpresse". Damit ist die Presse gemeint, die ihre Hefte mit den entsprechenden Körperteilen von Frauen an den Mann bringt. Im Ausland gehört dazu meist nur die so genannt "unseriöse" Presse (Porno- und Boulevardzeitungen), in der Bundesrepublik auch die so genannt "seriöse". Eine Wochenzeitschrift wie der "stern" zum Beispiel schafft es Woche für Woche, selbst die untersten Erwartungen ihrer darüber längst stocksauren Leserinnen zu unter treffen. Aus eben diesem Grunde initiierte emma vor fünf Jahren den berühmt gewordenen Prozess gegen die "Frauen diskriminierenden stern-Titel". Ein Prozess, der zwar juristisch nicht gewonnen wurde (nicht gewonnen werden konnte), politisch und moralisch aber zum Auslöser eines breiten Bewusstwerdungsprozesses wurde. Heute kann kein Blatt mehr Frauen verachtend titeln, ohne nicht prompt eine Flut von Protesten ins Haus zu bekommen. Immerhin.

Auf seiner Nr. 49 vom 1. Dezember 83 nun titelte der "stern" wieder einmal mit Frauenbrüsten. Kleine und große, blasse und braune, flache und schwere. Alle noch "stern-like", wenn auch nicht ganz so aus der Retorte wie sonst. "Frauen sprechen über ihre Brüste" lautete der Titel dazu. Auf Seite 3 folgten dann den Busen noch die Köpfe, Begründung: "Ihren Busen zu zeigen ist heute für viele Frauen kein Problem mehr, wenn Männer dabei nicht vergessen, dass Frauen auch einen Kopf haben. Zu den Brüsten auf dem Titelbild gehören - in derselben Reihenfolge - diese Gesichter." Oh nein, die Männer vergaßen diesmal nicht. Genüsslich blätterten sie hin und her, vor und zurück: Ach, die da hat so einen, und die da so einen... Jedem Leser, jeder Leserin war der pikante Hohn klar, der darin lag, dass ausgerechnet der "stern" die zerlegten Frauen feministisch begründet servierte. Da änderte es wenig, wenn die Geschichte zum Titel im Heft selbst an sich durchaus in Ordnung war. Dass der "stern" die Haut von Frauen nun auch noch dank der "neuen Freiheit von Frauen" (sich zu zeigen, über sich zu reden) zu Markte tragen konnte, war neu. Neu war auch, dass er das dank der Zusammenarbeit mit Feministinnen tun konnte. Im Heft ließ der "stern" wissen, dass die ganze Story auf einem Buch basiert, das in dem feministischen "Coura-ge"-Verlag erscheint. Laut "stern" erhielt Courage für den stern-Vorabdruck 8.000 Mark. Und die Berliner Zeitschrift selbst kündigte "den Vorabdruck Anfang Dezember im stern" in einem Werbeschreiben an, das prompt einen Tag nach Erscheinen ^

der stern-Ausgabe in den Redaktionen eintraf. (Das Buch ist übrigens eine Übersetzung aus dem Amerikanischen und von einer Frau und einem Mann geschrieben und fotografiert: auch das ein Novum in der feministischen Presse, die bisher der Meinung war, dass über so heikle Frauenthemen wie das Verhältnis zum eigenen Körper endlich einmal die Frauen sprechen und die Männer schweigen sollten). "Blauäugig" und "geradezu makaber" nannte taz-Redakteurin Maria Neef Uthoff den Courage-Deal mit dem "stern". Courage-Redakteurin Zurmühl laut taz: Sie hätten "nicht damit gerechnet", dass der "stern" das Thema so präsentiert; sie könnten das Geld gebrauchen; und sie fänden es gut, wenn gerade im "stern" Männer "so etwas läsen", dann würden die sich vielleicht "Gedanken" machen ...

"Blauäugig" ist da wohl noch der mildeste Kommentar, der frau einfallen kann. So dumm kann doch keine sein, die seit 10, 12 Jahren aktive Feministin ist. Dann doch lieber dreist. Oder dummdreist? Und zum Geld: Wir Frauen von emma kennen den Kampf ums Geld und um eine autonome Existenz nur zu gut. Wir sind nicht zimperlich, nehmen Anzeigen, erhöhen den Preis. Wir finden es auch durchaus denkbar, mit einer Zeitschrift wie dem "stern" von Fall zu Fall zusammenzuarbeiten. Aber es gibt Themen, die werden allein durch die Tatsache, dass sie ausgerechnet in so einem Blatt stehen, ins Gegenteil verkehrt. Das weiß jede Frau, und erst recht jede Feministin.

Dieses Courage-stern-Geschäft scheint uns darum keine Privatsache von Courage, sondern ein Politikum. Das ist Verrat. Verrat an all den Frauen, die für dieses Buch über ihre Ängste und Gefühle gesprochen haben; Verrat an allen Frauen, die sich seit Jahren über die frauenfeindlichen Machenschaften eines "stern" zu recht empören; Verrat am Feminismus überhaupt, der hier zum rückgratlosen Deal verkommt.

Dass Courage all diese Bedenken offensichtlich nicht hatte, macht uns nachdenklich. Wir möchten darum die Courage-Frauen an diese Stelle öffentlich fragen, was sie noch planen. Mit welchen Geldern zum Beispiel - mit welchen Konzessionen? Absprachen? Abhängigkeiten - wollen sie die für "Anfang 1984" angekündigte Courage-Wochenzeitschrift finanzieren? Für Branchenfremd" Eine solche Zeitschrift muss eine Mindestauflage von 30 - 50.000 Exemplaren haben, um überhaupt vertrieben werden zu können. Sie kostet, alternativ gerechnet, pro Nummer mindestens 40 - 80000 Mark. Bei einer Wochenzeitschrift müssten mindestens fünf Nummern vorproduziert werden, bis ein Verlag die ersten Einnahmen aus dem Handel ausgezahlt bekommt. Das heißt, für einen solchen Plan benötigt auch ein hart kalkulierender Alternativ-Verlag 200 - 400 000 Mark. Bar. (Vom Stopfen der, laut Courage, bisher bei der Monatszeitschrift gemachten Verluste ganz zu schweigen Das ist viel Geld in Zeiten, in denen andere engagierte Zeitschriften um ihre Fortexistenz bangen müssen. Courage hat, wie emma und andere, in den letzten Jahren immer wieder Geldproblem gehabt. Zuletzt arbeiteten einige der bis dahin festen Courage-Frauen auch außerhalb der Zeitschrift. So zum Beispiel Sybille Plogstedt als Angestellte der Grünen in Bonn Nun plötzlich der Plan einer Wochenzeitschrift. Er ist für alle, die die harten Realitäten des Zeitungsmachens kennen, mindestens so überraschend wie die neue Leichtigkeit, mit der "Courage" mit dem "stern" dealt. Zeit, meinen wir, mal ein offenes Wort zu reden.
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