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"Wir Feministinnen sind die einzige Linke"

Verfasst von: Millett, Kate info
in: EMMA
1982 , Heft: 6 , 12-13 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1982-6-a
Formatangabe: Interview
Link: Volltext
Verfasst von: Millett, Kate info
In: EMMA
Jahr: 1982
Heft: 6
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
"Es war eine wunderbare Demonstration in Washington! 60 000 Menschen gegen den imperialistischen Eingriff in El Salvador. Und die Frauen vorneweg in dieser neuen Protestbewegung. Das ist der Start einer neuen Bewegung" - so telegraphierte Kate Millett am 28. März 1982, einen Tag nach dem großen Protest, enthusiastisch nach Paris. Das Gespräch, das wir nachstehend bringen, wurde wenige Tage zuvor in Paris, kurz vor ihrer Rückreise in die USA, geführt. Kate Millett ist eine der intensivsten Stimmen, theoretisch wie literarisch, an der Front der Sexualpolitik. Hier plädiert sie leidenschaftlich für ein gleichzeitiges politisches, ein anti-imperialistisches Engagement der Feministinnen. So, wie dies zu Beginn der Frauenbewegung eine Selbstverständlichkeit war, so muß es wieder eine Selbstverständlichkeit werden! Denn das Private und das Politische gehören zusammen. Verharrt im "Privaten" haben wir Frauen lange genug... Wird der Kampf gegen den Rüstungswahn nun für die amerikanische wie für die europäische Frauenbewegung zum entscheidenden neuen Impuls?

Frage: Kate, du bist seit langem in der Frauenbewegung aktiv. Wo steht sie heute?
Kate: Ich kann nicht von der Frauenbewegung reden, ohne von der aktuellen Situation in unserem Lande zu sprechen. Wir haben mit einem Wiederaufleben der Aktivitäten der Rechten zu tun, die vor allem die Frauenbewegung und die sozialen Veränderungen, die wir repräsentieren, im Visier hat. Die Strömungen, die Reagan gewählt haben, sind sehr konservativ, sehr patriarchalisch, sehr autoritär und rassistisch: Diese Leute sind gegen Gastarbeiter, gegen Arbeitslose, gegen Suffragetten oder gegen Hippies, gegen einfach alle, die demonstrieren. Das erklärt, warum die Reaktion gegen das Recht auf Abtreibung heute wieder so stark ist: schon jetzt gibt es keine freie und kostenlose Abtreibung mehr, und die Streichung der medizinischen Hilfe hat vor allem für die armen Frauen schreckliche Folgen. In den USA existiert eine sehr starke, sehr organisierte Lobby, die genug Stimmen zusammenkriegen würde, um selbst eine Änderung der amerikanischen Verfassung, die die Abtreibung ganz verbietet, zu erreichen. Diese selben Kräfte blockieren das ERA - die Verfassungsänderung, die Frauen die gleichen Rechte geben würde wie Männern, und auf die wir Amerikanerinnen schon so lange warten.
Frage: Kann man heute in den USA ernsthaft von antiimperialistischen Protesten sprechen?
Kate: Unsere Tragödie ist, daß es zur Zeit keine breite antiimperialistische Bewegung in den USA gibt. Gerade jetzt, wo wir sie so nötig hätten - und das nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Opfer der US-Politik: fast ganz Lateinamerika (wo wir die Juntas und Diktaturen unterstützen), die Türkei, überall, wo Amerikaner im Namen des Anti-Kommunismus präsent sind.
Es gibt innerhalb der Linken ein antiimperialistisches Gefühl. Aber, es existiert in den USA keine wirkliche Linke, wie man weiß. Es gibt in diesem Land keine marxistische Tradition, keinen kontinuierlichen Kampf seit Beginn des Jahrhunderts. Die Aktionen sind darum sporadisch: So war zum Beispiel die Bewegung gegen den Vietnamkrieg stark, aber als die Frage gelöst war, verschwand sie und mit ihr die Linke. Wir Feministinnen sind die einzige Linke, die von der Linken übrig geblieben ist.

Die Situation ist wirklich hoffnungslos. Dieser manische Reagan will das Bild des amerikanischen Machos, der militärischen Kraft, noch verstärken. Das Geld, das zuvor für kulturelle Zwecke da war (Erziehung, Kunst, Forschung), dient jetzt zum Waffenkauf und zur nuklearen Aufrüstung.
Es ist deprimierend. Eine antiimperialistische Bewegung müßte sehr stark sein. Wir dürfen nicht länger warten, wir müssen handeln! Doppelt, da Reagan es gar nicht schätzt, das Gesicht zu verlieren: das hat man ja bei der Affäre der Fluglotsen gesehen - er versteift sich in seinen Irrtümern. Aber das Land ist in eine tiefe Apathie getaucht. Die Menschen lassen sich durch die ökonomische Krise und durch allerhand Ängste, die die Regierung gezielt schürt, manipulieren. Die Bevölkerung ist wie hypnotisiert, wie gelähmt.
Es wird darum Zeit, daß auch wir Feministinnen zu den großen politischen Fragen Position beziehen! Wir dürfen uns nicht länger auf ausschließlich feministische Probleme wie die Abtreibung beschränken. Wir müssen uns auch für das politische Leben im engeren Sinne interessieren. Wir müssen der rechten Front in diesem Lande etwas entgegensetzen. Zunächst müssen wir internationale Feministinnen werden, und alsdann innerhalb dieses Landes mit erhobener Stimme sagen, was wir zu sagen haben. Frage: Was wirst du selbst in der kommenden Zeit tun?
Kate: Ich habe mich hier in Paris entschlossen, ein großes Projekt in Angriff zu nehmen: ein Buch über die Folter. Ich weiß nicht, ob ich auch in New York diese Entscheidung hätte treffen können ...
Vor Paris habe ich einige Monate damit verbracht, mein Bauernhaus in der Nähe von New York instand zu setzen: Das war eine sehr ermüdende Arbeit, aber ich habe es dann doch geschafft. Jetzt ist es sehr schön. Dieses Haus soll ein Ort für Frauen werden, für Künstlerinnen, zum Leben und Arbeiten. Da können wir malen, zusammen große Essen vorbereiten, baden, in den Feldern arbeiten, Bäume pflanzen, es uns gut gehen lassen... Gleichzeitig, versteht sich, haben wir uns der Realität des reaktionären Patriarchats zu stellen! Aber wir brauchen auch einen Ort, an dem wir leben können wie in der Zeit nach der Revolution. Einen Vorgeschmack auf das, was wir anstreben.

Das Interview wurde von der Pariser Frauenzeitschrift "des femmes" geführt.
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