Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1980-8-a
Formatangabe: Bericht; Buchauszug
Link: Volltext
Verfasst von: Heymann, Lida Gustava
In: EMMA
Jahr: 1980
Heft: 8
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Der nachfolgende Text ist aktuell aber uralt: nämlich fast ein halbes Jahrhundert. Damals schrieb die Radikalfeministin Lida Gustava Hermann auf der Flucht vor den Nationalsozialisten im Schweizer Exil ihre Erinnerungen. Frauen und Politik, Frauen und Sozialdemokraten - ein altes Lied, ein trauriges Lied.

Was die politische Unreife der deutschen Frauen betraf, so hatte Erfahrung gelehrt, daß die Unreife der deutschen Frauen keineswegs größer war, als die der Männer gewesen war, als sie 1867 und 1870 in den Besitz politischer Rechte kamen. Schwimmen lernt nur, wer ins Wasser springt.
Die radikalen Frauen verfolgten die Taktik, energisch, deutlich und klar auszusprechen, was sie forderten, ohne jede Rücksichtnahme auf Entrüstung und Empfindlichkeit der Männer. Diese sollten erfahren, daß Frauen da waren, die zu keinerlei Kompromissen bereit wären, sondern restlos forderten, was man ihnen seit Jahrhunderten vorenthielt.
Für den Kampf um Frauenbefreiung im eigentlichen Sinne kamen weder die außerhalb des Bundes stehenden konfessionellen Frauenvereine noch die der deutschen Arbeiterinnen in Betracht, und zwar aus folgenden Gründen: Erstere waren auf ihre Art bemüht für die Berufs- und Fortbildungsmöglichkeiten der Frauen und deren soziale Betätigung in der Gemeinde zu arbeiten. Aber an der von den Kirchen proklamierten "gottgewollten Bestimmung des Weibes" fand alles und jedes seine Grenzen. Die konfessionellen Frauen hatten sich letzten Endes stets ihrer Kirche unterzuordnen, sie hatten also kein Selbstbestimmungsrecht, standen unter männlicher Autorität, mochte diese nun in Gestalt einer evangelischen, katholischen oder jüdischen Geistlichkeit auftreten.

Um nichts besser stand es mit den deutschen Arbeiterinnen. Sie lehnten bewußt Frauenbewegung ab und erklärten: "Wir sind Sozialdemokratinnen, das Programm der sozialdemokratischen Partei proklamiert die Gleichberechtigung der Frauen, wir kämpfen Schulter an Schulter mit unseren Männern und pfeifen auf die bourgeoise Frauenbewegung." Welche Kurzsichtigkeit! Hatten nicht jahrzehntelange Erfahrungen in allen Ländern gezeigt, daß die Masse der sozialdemokratischen Männer keineswegs gewillt war, die im Programm festgelegte Gleichberechtigung in der Praxis und am eigenen Herde zu betätigen? Der sozialdemokratische deutsche Mann beutete, wo er die Möglichkeit dazu hatte, das heißt in seiner Familie, die Frau für seine persönlichen Zwecke in gleicher Weise aus wie die bürgerlichen Männer. Er war von demselben Überheblichkeitskomplex beherrscht, stets bereit, den Frauen gegenüber den Despoten zu spielen und die besser bezahlten, sehr häufig weniger anstrengenden Berufe für das "starke Geschlecht" zu reservieren, dem schwachen Geschlecht die mühevollen, schlechter bezahlten, als die von der Natur für die Frau bestimmten, zu überlassen. Bei den Sozialdemokraten war es die Natur, bei den Kirchenvätern der liebe Herrgott.

Männlichen Despoten hat es noch nie an Ausreden gefehlt. Sozialdemokratische Frauen standen unter der männlichen Oberhoheit der Partei, die konfessionellen Frauen unter der der Kirche. Unfrei waren beide! Daraus ergab sich die logische Folge, daß beide nicht so rücksichtslos für die Befreiung ihres Geschlechtes kämpfen konnten wie jene Frauen, die keinerlei Vormundschaft über sich anerkannten, sondern völlig frei, zielsicher und mit ihrem ganzen Sein zutiefst in der Idee der Frauenbewegung verankert waren. Diesen Frauen stand die Befreiung einer wertvollen Hälfte der Menschheit stets im Vordergrund ihres Strebens und konnte durch nichts daraus verdrängt werden. Die radikalen Frauen nahmen zu allen sozialen und politischen Fragen und Gesetzesentwürfen, nationalen wie internationalen, vor der breiten Öffentlichkeit Stellung. Wiederholt zeigten sie, daß sie nicht nur politisch orientiert, sondern auch in der Lage waren, durch begründete Kritik und Vorschläge gestaltend mitzuarbeiten. Die radikalen Frauen standen damals in Deutschland in scharfer Opposition zu ihrer Umwelt, aber es war keine Reklameopposition um des Widerspruches willen, wie die Gegner so gerne behaupteten, sondern sie war notwendige Folge ihrer Auffassung von tatsächlicher Frauenbefreiung. In dem folgenden Jahrzehnt löste innerhalb der radikalen Frauenbewegung ein politisches Arbeitsgebiet das andere in kraftvoller Lebendigkeit ab. Seit 1895 petitionierten deutsche Frauen um ein einheitliches und zeitgemäßes Vereins- und Versammlungsrecht. Mit unzerstörbarer Beharrlichkeit waren die radikalen Frauen bei den Reichstagsberatungen zur Stelle; mochten die Herren Abgeordneten versuchen, die Forderungen als "gegen göttliche und menschliche Ordnung verstoßend" lächerlich zu machen oder über sie zur Tagesordnung überzugehen, es wurden zu jeder Lesung unentwegt erneut die Forderungen wieder eingebracht. Jahraus, jahrein wurde in jeder Form Sturm gelaufen gegen die würdelose Behandlung deutscher Frauen durch völlig überlebte Vereins- und Versammlungsgesetze.

Der Kampf der deutschen Frauen um Gleichberechtigung im neuen Vereinsgesetz war nicht erfolglos, allerdings erst am 15. Mai 1908 trat das neue Reichsvereinsgesetz in Kraft. Keineswegs entsprach es allen freiheitlichen Forderungen der radikalen Frauen, aber es enthielt keinen Unterschied mehr zwischen Männern und Frauen. Mit gutem Gewissen konnten die radikalen Frauen einen großen Teil dieses Erfolges auf das Konto ihres durch keine Reaktion oder Kompromiß beschwerten Kampfes setzen.

Frauen mußten in erster Linie politisch interessiert und urteilsfähig gemacht werden. Themen wie: "Männerpolitik und Frauenkritik" oder "Wie sind die Frauen zu politischem Interesse zu führen und politisch urteilsfähig zu machen?" zeigen an, in welcher Weise vorgegangen wurde. Zu allen politischen Tagesfragen wurde in breiter Öffentlichkeit Stellung genommen, mochte es sich nun um Gesetzgebung, um Erhöhung von Kornzöllen, um Verteuerung anderer Lebensmittel wie durch Zuckerprämien, um Fleischeinfuhrverbot handeln oder wie 1901 beim Chinakonflikt um gewaltsame Schändung und sexuelle Mißhandlung wehrloser Chinesinnen durch europäische Soldaten; oder um Elsaß-Lothringen, um Kolonial-, Finanz-, Steuerfragen und Fragen der inneren undäußeren Politik. Der "Verband forschrittlicher Frauenvereine" war immer zur Stelle, kritisierte, machte Vorschläge, forderte für alle Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit. Noch nie hatten Frauen das bisher in dem Ausmaße und mit einer solchen Unerschrockenheit, Wucht und Zähigkeit getan.

Staatsgefährdend

Die radikalen Frauen wußten genau, was sie wollten, ihr ganzes Vorgehen zeigte deutlich, daß ihnen der ganze Apparat des modernen Männerstaates nicht imponierte, und skrupellos deckten sie seine Schäden auf.
Von weittragender Bedeutung für Ausbau und Entwicklung des "Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine" waren dessen alle zwei Jahre stattfindenden Konferenzen. Einigkeit und Zielsicherheit beherrschte sie, und eine seltsame Kraft ging von ihnen aus. Bald zeigte sich, daß die Arbeit dieser Frauen der preußischen Regierung staatsgefährlich vorkam und polizeilicher Überwachung bedurfte. 1901 hatte die Reichstagsverwaltung der Tagung Räumlichkeiten im Reichstage zur Verfügung gestellt. Das gab natürlich Komplikationen, denn preußische Polizeibeamte durften das deutsche Reichstagsgebäude nicht betreten. Wie bei allen Kompetenzkonflikten wurde nach einem Ausweg gesucht, der darin bestand, daß nur die Eröffnung und die erste Sitzung im Reichstagsgebäude stattfanden, und der Verband alsdann in ein der heiligen Hermandad zugängliches Lokal übersiedelte.
Gesamten Bestand von FrauenMediaTurm anzeigen

Kontext

wird geladen...

Standort

Frauenmediaturm – Feministisches Archiv und Bibliothek

Bayenturm / Rheinauhafen
50678 Köln
Telefon: +49 (0)221 931 88 10
Öffnungszeiten
Mo-Fr. 10-17 Uhr, nach Voranmeldung. Die Anmeldung kann telefonisch, per Mail oder über das Kontaktformular erfolgen. Die Einrichtung ist nicht barrierefrei

Ich stimme der Nutzung von Google Maps zu.