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Regisseurin Akerman : ihre Filme gehören international zum Bewegendsten, sind aber hierzulande fast unbekannt

Verfasst von: Schwarzer, Alice info
in: EMMA
1996 , Heft: 5 , 22-23 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1996-5-a
Formatangabe: Porträt
Link: Volltext
Verfasst von: Schwarzer, Alice info
In: EMMA
Jahr: 1996
Heft: 5
Beschreibung: Ill.
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
REGISSEURIN AKERMAN

Ihre Filme gehören international zum Bewegendsten, sind aber hierzulande fast unbekannt.

Text: Alice Schwarzer. Foto: Jean-Michel Vlaeminckx. Wäre sie ein Mann, ihr Name stünde in der Geschichte des aktuellen Cinemas in einer Reihe mit Jean Luc Godard, Jim Jarmusch, Aki Kaurismäki. Aber sie ist eine Frau. Und sie weiß es auch noch. Schlimmer: Sie macht ihr Frausein zum Thema. Zu einem der drei zentralen Themen ihrer Filme. Das zweite Thema ist ihr Jüdischsein. Die Großmutter, Malerin, kam nie zurück aus den Konzentrationslagern und auch ihre Arbeit ist vernichtet. Die Mutter, Hausfrau, hat Auschwitz überlebt - und geschwiegen. Der Großvater versucht, sie im Schatten der Synagoge zum gläubigen Mädchen zu erziehen; ein Mädchen, dem es verboten ist, sich ein Bild zu machen. Chantal Akerman aber redet. Und macht Bilder. Bilder, die neues Sehen lehren. 1968 realisiert die 18jährige ihren ersten Kurzfilm: "Saute ma ville" (Geh hoch, meine Stadt). Sie hält die Kamera hart auf ihr trauriges, burleskes Leben und sprengt sich hoch in "ihrer" Stadt, in Brüssel. Sodann geht sie auf die Suche: nach Israel, New York, Paris. Es folgen radikale Kurzfilme, in denen sie oft selbst die Hauptrolle spielt, und "deren Verlorenheit erdacht, deren Gefühle jedoch authentisch sind" (Akerman).
1975 schreibt und dreht die 24jährige einen der größten Filme in der Geschichte des Films: "Jeanne Dielman, 23, Quai du Commerce, 1080 Bruxelles". Ihre Hauptdarstellerin, Delphine Seyrig, in Frankreich berühmt für ihren kühl-lasziven Stil (und berüchtigt für ihr leidenschaftliches feministisches Handeln), ist drei quälende Stunden lang Jeanne Dielman: die Hausfrau, Witwe und Mutteer, eines Sohnes im Gefängnis ihrer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, die sich zur Aufbesserung der Haushaltskasse nachmittags im Eheschlafzimmer prostituiert. Sie erstarrt in der Routine ihrer Tag für Tag gleichen Bewegungen und Gänge - bis zu dem Tag, an dem sie ihre Welt mit einem Messer ins Herz eines Freiers zerstückelt. Der Film kommt nicht zufällig auf dem Höhepunkt des Aufbruchs der Frauen. Und er zeigt mehr, als die damals 24jährige hätte sagen können. Er zeigt alles, was über das alltägliche Grauen des Frauseins mitzuteilen ist. Er sagt, was Chantals Mutter nie gesagt hat. Es folgt eine Reihe von Kino- und Fernsehfilmen, mal ganz auf der Höhe von Akermans Möglichkeiten, mal darunter. Die jetzt in die Kinos kommende, harmlose Liebeskomödie "Eine Couch in New York" gehört eher zur letzten Kategorie. Doch längst sprechen die Cineasten von "style akermanien": den strengen starren Einstellungen, den langen ruhigen Fahrten, den assoziativen Bilderfolgen. Ihr zweiter Film auf der Höhe von Jeanne Dielman ist 1988 "Histoires d'Amerique", eine Bildercollage der jüdischen Diaspora, gedreht an ihrem Hauptschauplatz, in New York. Auf den nächtlichen Straßen von New York Irrlichtern Frauen und Männer vor Akermans Kamera und erzählen ihre Geschichten: absurde, ergreifende, komische Geschichten. "Für mich ist dieser Film eine Art 'Vom Winde verweht', schroff und romanesk", kommentiert die Filmemacherin. In dieser Tradition steht auch ihre Videoinstallation "D'Est", die vom 7. September 96 bis 10. Januar 97 im Kunstmuseum Wolfsburg gezeigt wird. Chantal Akerman, Enkelin osteuropäischer Juden, fährt nach "der Öffnung" nach Polen und dreht dort einen Dokumentarfilm: Straßen, Menschenschlangen, Gesichter, Bahnhöfe. Die Shoa ist allgegenwärtig. 1993 folgt wieder ein dicht autobiographischer Film, diesmal ein Spielfilm, der eigentlich leicht auch ,ein breites Publikum hätte finden können. Aber auch dieser Film bleibt - zumindest im filmisch tief provinziellen Deutschland - quasi unbemerkt. Es ist das "Portrait d'une jeune fille, fin des années 60 ä Bruxelles" (Porträt eines jungen Mädchens, Ende der 60er Jahre in Brüssel): ein ergreifend authentisches, zartes, tiefgründiges Dokument über die Pubertät eines jungen Mädchens, das langsam beginnt zu begreifen, dass es Frauen liebt. Die Liebe zu Frauen, das dritte große Thema von Chantal Akerman.
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