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Mädchen, die pfeifen ...

Verfasst von: Trömel-Plötz, Senta
in: EMMA
1979 , Heft: 6 , 53-55 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1979-6-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Trömel-Plötz, Senta
In: EMMA
Jahr: 1979
Heft: 6
Beschreibung: Ill.: Franziska Becker
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Mädchen, die pfeifen…

Reden wir anders als Männer? Reden wir anders mit Frauen als mit Männern? Wie reden Männer mit uns? Wie wird über uns geredet? Was sagt mann darüber, wie wir reden?

Anscheinend reden wir Frauen anders als Männer, denn nur über uns wird gesagt, daß wir wie Hühner gackern oder wie Gänse schnattern, daß wir klatschen, quasseln, tratschen und schwätzen. Das sind allesamt Ausdrücke dafür, daß wir viel reden und dabei wenig sagen. Ganz im Gegenteil zu Männern. Männer reden weder zuviel noch triviales Zeug; ihre Aussagen sind zuverlässig und haben Gewicht: ein Mann - ein Wort (eine Frau - ein Wörterbuch). Auf das Manneswort ist Verlaß. Es kommt vom Ehrenmann.

Wenn Frauen das männliche Gebot durchbrechen, wird ihr Reden abgewertet als Geschnatter, Geschwätz und Klatsch. Ihr Reden miteinander stellt anscheinend eine Gefahr für den Mann dar. Wie wäre sonst zu erklären, daß Frauen seit dem Mittelalter angewiesen wurden, weder die Geheimnisse noch die Sünden und Fehler ihres Mannes preiszugeben?

Das Reden von Frauen untereinander löst Angst beim Mann aus - auch heute noch. Frauen, die ins Frauenzentrum gehen, wissen das: sie müssen sich irgendwann mit der Reaktion ihrer Männer darauf auseinandersetzen. Auch in antifeministischer Literatur und in frauenfeindlichen Witzen findet sich immer wieder das Bild von den klatschenden Weibern. Jeder Witz enthält das implizite Verbot der Männer: Frauen dürfen nicht miteinander reden, insbesondere dürfen sie nicht über ihre Männer reden. Wieviele von uns haben dieses Verbot schon internalisiert und betrachten es als unsere eigene Anstandsre-gel.

Frauen dürfen auch nicht den Mund auftun, wenn Männer zu-gegen sind. "Das Weib soll schweigen in der Gemeinde." Und: "Die Frau schweige in der Kirche." Und zudem dürfen Frauen nicht ins Gerede kommen, denn seit der Antike gilt: "Die beste Frau ist die, von der man am wenigsten spricht." Gebote und Verbote überall und von Alters her.

Die Vorstellungen, die hinter diesen geflügelten Worten stehen, sind tief in unserem Bewußtsein verankert und spielen noch heute eine Rolle, die wir durchschauen müssen. Denn sie hemmen uns jedesmal, wenn wir den Mund aufmachen. Was wir sagen, wird unterbrochen, falsch verstanden, überhört, abgetan, nicht ernst genommen, negativ bewertet.

Wenn Frauen und Männer das gleiche tun und sagen, ist es noch lange nicht das gleiche. Das haben wir alle schon beobachtet: im Berufsleben, wo Männer "ehrgeizig" und Frauen "aggressiv" sind, wenn sie das gleiche tun und sagen: beim Autofahren, wo Männer "vorsichtig" und Frauen "furchtsam" sind; bei Beschwer- den, wo Männer "wütend" sind und Frauen "vulgär", wenn sie sich gleich ausdrücken (der wütende Mann hat natürlich mehr Erfolg als die vulgäre Frau). Schwedische Frauen in der Politik sind darauf aufmerksam geworden: sie beklagten sich öffentlich, daß ein Vorschlag oder Antrag von ihnen oft unter den Tisch fällt, dagegen der gleiche Vorschlag eines Mannes angenommen wird.

Darum werden Frauen auch nur schlecht als Nachrichtensprecherinnen akzeptiert, dieselben Nachrichten werden anscheinend unglaubwürdiger, wenn sie von einer Frau angesagt werden. Ebenso verlieren identische wissenschaftliche Texte an Qualität, wenn sie mit einem Frauennamen anstatt dem Namen eines Mannes versehen sind. Autorinnen des 19. Jahrhunderts wußten, daß ihre Bücher unter ihren wirklichen Namen von männlichen Kritikern anders bewertet worden wären und wählten deshalb männliche Pseudonyme: George Sand, George Elliot, Currer, Ellis und Acton Bell (für Charlotte, Emily und Ann Bronte).

Es gelten einfach andere Erwartungen, wenn Frauen reden oder schreiben, und wir müssen uns mit diesen Erwartungen auseinandersetzen. Es wird erwartet, daß wir nichts Wichtiges, Relevantes, Vernünftiges zu sagen . haben oder jedenfalls, daß das was wir sagen nicht so klug, durchdacht, rational, diszipliniert und logisch ist wie das, was ein Mann sagt. Diese negative Erwartung wird uns zum Verhängnis. Sie hat einen Einfluß darauf, wie wir reden. Wir reden mit weniger Sicherheit. Selbstverständlichkeit, Selbstbehauptung und Autorität. Wir schränken ein. was wir sagen. Wir drücken uns vorsichtig, unbestimmt, tastend aus. Wir entschuldigen uns und werten uns selber ab. Wir laden zur Kritik ein und suchen ständig die Zustimmung unserer Gesprächspartner. Wir sagen nicht direkt und kraftvoll, was wir wollen. Wir behaupten uns nicht. Und wir bestätigen so das Vorurteil, daß wir uns nicht behaupten können, und daß wir nichts zu sagen haben. Wir haben dann auch nichts zu sagen. Charmante Damen

Außerdem wird erwartet, daß wir das, was wir sagen - wenn überhaupt - liebenswürdig, höflich, verbindlich, charmant, gefällig formulieren. Männer fluchen, schimpfen, erzählen schlechte Witze, schneiden auf. Von Frauen erwartet man Zurückhaltung in der Wortwahl, um Gottes willen keine Obszönitäten, Derbheiten, Zweideutigkeiten, Flüche oder gar Männerwitze.

Frauen dürfen nicht durch ihre Sprache schockieren, sie müssen starke Ausdrücke abschwächen durch harmlosere und anständige Formen. Sie müssen auch hier bescheiden sein. Denn: Mädchen, die pfeifen, und Hühner, die krähen, denen soll man beizeiten die Hälse umdrehen (so der Volksmund). Und so sind wir in der Zwickmühle gefangen: um ernstgenommen und gehört zu werden, muß eine Frau so reden wie ein Mann. Tut sie das, ist sie nicht mehr feminin, sondern männlich und als Frau entwertet. Eine gescheite Frau ist schnell ein Blaustrumpf, eine Intellektuelle, eine Emanze und wird als solche weder vom Mann akzeptiert - und das ist viel schlimmer und das Schicksal vieler Feministinnen -noch wollen sich Frauen mit ihr identifizieren (denn sie haben Angst, dann ebenso diffamiert zu werden). Redet sie aber wie eine Frau, macht sie höfliche, beschwichtigende, harmlose Beiträge, ist liebenswürdig, charmant, unsicher und hilflos, dann wird sie nicht ernstgenommen und braucht also nicht gehört zu werden. Vielleicht reden deshalb Frauen im öffentlichen Leben, in Politik, bei Konferenzen, Diskussionen,

Ehret die Frauen . . .

öffentlichen Veranstaltungen, in Gremien so wenig und schweigen so viel. Denn: Frauen reden nachweislich weniger als Männer! Die stereotype Vorstellung, nach der Frauen mehr reden als Männer, ist wissenschaftlich gänzlich unbegründet und stimmt nicht einmal im privaten Bereich, wo Frauen ja sogar reden dürfen.

Die neuesten linguistischen und soziologischen Untersuchungen zeigen, daß auch in Trivialunterhaltungen zwischen Frau und Mann, im Cafe oder am Frühstückstisch. Männer im Gespräch dominieren, indem sie Themen einführen und steuern, ihr Gesprächsthema durchsetzen, sich weniger unterbrechen lassen, dagegen selber unterbrechen und vor allem die von Frauen eingeführten Themen nicht unterstützen. Ganz anders verhalten sich Frauen in der gleichen Situation: sie stellen Fragen zu den Themen der Männer, zeigen Interesse, regen die Männer an, weiterzusprechen, reagieren auf das Gesagte, unterstützen also die Entwicklung des Gesprächs. Frauen leisten wie im Haus auch in den Gesprächen mit Männern die Dreckarbeit, und Männer geben an und kontrollieren, was geschieht.

Der Mann ist des Weibes Haupt (Bibel) am Frühstückstisch wie am Arbeitsplatz wie in der Politik. Hier ist auch interessant, daß Frauen, wenn keine Männer dabei sind, durchaus kompetente Sprecherinnen sind: sie bringen Themen ein, steuern das Gespräch, unterbrechen, schweigen weniger und verhalten sich linguistisch so wie Männer sich verhalten. Frauen reden also anscheinend wirklich anders mit Frauen als mit Männern. Wie reden nun Männer über uns, wie reden sie uns an, wie kommen wir vor in der Sprache, wie werden wir sprachlich behandelt?

Ehret die Frauen! Sie flechten und weben himmlische Rosen ins irdische Leben, sagte Schiller. Die Funktion der Frau ist es, den Männern das Leben zu verschönern; daran hat sich nichts geändert, heute geschieht es in Form von Playboy Bunnies, Cover Girls, Pin-ups, Luxusweibchen, Puppe, Nutte oder Damen - je nach Gesellschaftsschicht. Auch heute noch dienen Frauen zum Amüsement der Männer und werden deshalb zu passenden Anlässen mitgebracht. So lädt der Rektor der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn "die Hochschullehrer mit ihren verehrten Damen zu einem Professorium in Form eines Winterfestes mit Tanz für Freitag, den 26. Januar 1979 ab 20 Uhr in die Aula der Universität ein". Das Motto ist wie eh und je Wein, Weib und Gesang. Die verehrten Damen sollen sich mitnehmen lassen wie Hut und Schirm. Jedem das Seine.

Ganze Männer

Die Hochschullehrerinnen müssen sich angesprochen fühlen, auch wenn sie explizit ausgeschlossen sind, denn "Hochschullehrer mit Damen" bezieht sich eindeutig nur auf Männer. Hier sagt man zur Entschuldigung, daß es sich nicht um bewußte Diskriminierung, sondern nur um eine Unachtsamkeit handle. Vielleicht, aber solche Unachtsamkeit wäre undenkbar bei Männern - man kann sie sich nur bei Frauen leisten. Der Test ist immer: könnte das einem Mann passieren? Zum Beispiel: der Rektor lädt aus Versehen nur die Hochschullehrerinnen zum Professorium. Undenkbar. Wir werden immer wieder ausgeschlossen. Auch in Stellenanzeigen, wo nur von Bewerbern die Rede ist; in Steuerformularen, wo nur vom steuerpflichtigen Ehemann geredet wird; in Briefen, wo nur die sehr geehrten Herren oder lieben Kollegen angesprochen werden. Wir sind nicht gemeint, wenn es um den Ehrenmann, Landesvater, die Söhne des Landes, selbst um den Mann auf der Straße geht.

Psychologische Experimente ergeben, daß sogar da, wo von Frauen und Männern die Rede ist, also wo wir explizit eingeschlossen sind, trotzdem bei Formulierungen wie der Durchschnittsstudent, der Wissenschaftler, der Kunde, der Rechtsanwalt, der Schriftsteller, der Künstler nur Männer assoziiert werden. Selbst "Mensch" ist oft nur der Mann. Schon bei Schiller werden ja alle Menschen Brüder, und heute, wo es immerhin schon einige Frauen in der Politik gibt, liest man die Schlagzeile "Politiker sein - das verlangt den ganzen Mann".

Herrleins?

Wo es sich dann gar nicht vermeiden läßt, uns zu benennen, werden wir trivialisiert als Mädchen oder Fräulein oder aber euphemistisch Damen genannt. Welcher Mann ließe sich "Herrlein" schimpfen? Von einer Frau kann man andere Dinge sagen als von einer Dame. Eine Frau kann eine Hausfrau oder Wissenschaftlerin, eine Marktfrau oder eine Parlamentarierin sein. Eine Dame hat keinen Beruf und ist höchstens Anhängsel von irgendeinem Mann, der ein so beschaffenes Anhängsel aus psychologischen oder beruflichen Gründen braucht. Wir werden auch abgewertet als alte Jungfern, Frauenzimmer, Hexen, leichte Mädchen, Freudenmädchen, Emanzen, Kaffeetanten, dumme Gänse und Blondinen. Wir werden abgewertet und mißachtet, wenn man uns über unsere Körperteile wie den Busen oder die langen Beine, wenn nicht Geschlechtsteile definiert.

Wie anders werden da Männer behandelt. Sie sind stark, frei, weise, klug, ehrlich, verläßlich, streitbar, ergreifen den Augenblick, müssen hinaus ins feindliche Leben, schaffen sich selber ihr Schicksal. Das nimmt uns nicht wunder: Männer machen die Geschichte.

Über uns sehen geflügelte Worte dagegen so aus: Dienen lerne beizeiten das Weib; ein gebrech- lieh' Wesen ist das Weib; es ist keine List über Weiber list; Schwachheit, dein Nam' ist Weib usw. Diese Vorstellungen sitzen tief in uns, in Frauen wie Männern. Sie beeinflussen unsere Verhaltensweisen. Auch Frauen haben Mühe, die Leistung anderer Frauen anzuerkennen - es darf anscheinend nicht sein, daß eine andere Frau einen Doktortitel hat oder gar Professorin ist. So fragen Patientinnen im Krankenhaus eine Ärztin, wann denn endlich der Doktor käme; so werden Professorinnen bis ins hohe Alter von Reisebüro- oder Hotelangestellten wie Sekretärinnen behandelt, wenn sie für sich selber Buchungen machen; und so vergessen Sprechstundenhilfen und Empfangsdamen, denen der Titel des eigenen Chefs flüssig über die Lippen kommt, von einer Sekunde zur nächsten den Titel einer Frau. In unseren sprachlichen Verhaltensweisen .zeigt sich, wie weit der Weg noch ist, bis wir Frauen und Männer gleich behandeln können. Wir können und müssen einen Anfang machen, indem wir hellhörig werden, indem wir den Männern aufs Maul schauen, wie sie mit uns und über uns reden. Indem wir uns selbst aufs Maul schauen, wenn wir uns selbst oder andere Frauen abwerten, wenn wir uns der Verantwortlichkeit entziehen durch unrelevantes Geschwätz! Wenn wir anders reden, reden auch Männer anders mit uns.

SENTA TRÖMEL-PLÖTZ
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