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"Ich bin es leid zu lügen!"

Verfasst von: Schwarzer, Alice info
in: EMMA
1977 , Heft: 1/2 , 22-24 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1977-1-a
Formatangabe: Porträt
Link: Volltext
Verfasst von: Schwarzer, Alice info
In: EMMA
Jahr: 1977
Heft: 1/2
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
"Ich bin es leid zu lügen" S. 22

Eigentlich sollte es ein richtiges Interview werden. Romy Schneider über ihre Rollen, ihr Image, ihr Leben. Romy, der Bundesdeutschen liebste Verkörperung aller Frauenklischees in einer Person: Mit 15 die Jungfrau von Geiselgasteig. Mit 21 die "Hure" in Paris. Mit 28 die reuige Ehefrau und Mutter in Hamburg. Und heute der französischsprachige Weltstar mit Allüren und einem neun Jahre jüngeren Mann . . . Denn es ist sicherlich nicht übertrieben zu sagen, daß sich am Verhältnis Deutschlands zu Romy die deutsche Einstellung zu Frauen überhaupt ablesen läßt. Sie, die in Paris "Romy la Grande" (Elle) und "die größte Schauspielerin Europas" (Nouvel Observateur) ist, ist in Berlin die verlorene Tochter, die in einer Art Haß-Liebe längst zu Freiwild erklärt wurde. Da publiziert die "Bunte" die Intimplaudereien eines ehemaligen Romy-"Freundes". Mit Teleobjektivengeschossene Nacktfotos aus Romys Urlaub werden millionenfach gedruckt. - Denn Romy Schneider, 38 Jahre alt, Schauspielerin, zum zweiten Mal verheiratet und Mutter eines Kindes, muß herhalten für so vieles: für die Situation der Frauen überhaupt, für die der Schauspielerinnen im besonderen, für die der Karrierefrau und, mehr noch, für die des Stars.

Über all das wollte ich mit Romy reden. Ich traf eine Frau, die mehr Fragen hat als Antworten; die in einer Phase ihres Lebens ist, in der sie das, was war und ist, in Frage stellt, aber noch nicht weiß, was sein wird. Am ersten Abend hatten wir uns eigentlich nur getroffen, um uns mal kennenzulernen. Sie wollte sehen, ob sie "überhaupt mit mir kann". Wir waren zusammen essen, gemeinsam mit ihrer Freundin Christiane. Und plötzlich, nachts um eins, war Romy entschlossen: sie wollte mit mir reden. Jetzt. Sofort. Ganz schnell wurde mir klar, daß ich mit ihr nur eine Wahl hatte: Entweder ein formelles Interview, so eins, wie sie sie schon zu Hunderten geführt hat, und die sie zu recht aggressiv und arrogant machen vor Angst und Mißtrauen. Oder aber ein Gespräch, in dem sie ein wenig Vertrauen faßt, und in dem ich nicht mehr Schreiberin bin, sondern ein Mensch, der ihr einfach zuhört, ohne zu fragen. Wir haben viele viele Stunden miteinander geredet - aber interviewt habe ich Romy nicht. Das war einfach nicht möglich. Und ich muß gestehen, daß mich noch nie in meinen zwölf Jahren Professionalität als Journalistin ein Gegenüber so hilflos gemacht hat . . .

Was für ein entwaffnendes Nebeneinander von Dominanz und Demut, von Intelligenz und Irrationalität. Sie ist eine Frau, die Karriere gemacht hat, ist berühmt, tüchtig und reich, und träumt von der großen Liebe, einem Menschen fürs Leben, dem zweiten Kind und selbstgestrickten Pullovern. Eins schließt das andere aus. Heute. Aber sie will beides. Wir treffen uns zweimal. Einmal nach den Dreharbeiten vom "Gruppenbild" in Berlin. Wenig später ein zweites Mal nach einem Gespräch mit Heinrich Böll in Köln. Beide Male macht sie mich sprachlos. Sie ist einer der absolutesten Menschen, denen ich je begegnet bin. Hier! Heute! Jetzt! Sofort! Alles! Oder nichts . . .

Sie hat die Radikalität eines Kindes. Sie ist nicht räsonabel, sie hat sich nicht "zur Räson bringen" lassen. Das mag ich an ihr. Sie ist keine Vernünftige, keine Angepaßte - und sie hat sich trotzdem durchgesetzt! Hat es ihnen allen gezeigt. Ist von der Kitsch-Sissi zur Charaker-Schauspielerin geworden, vom Töchterchen aus dem kölsch-berchtesgadener Bürgermief zu einer Frau mit unbequemer Sensibilität und kreativer Intelligenz.

Schon einmal habe ich sie so kennengelernt. Aus der Ferne. Das war 1970. Damals hat sie den Appell "Ich habe abgetrieben" und "Wir fordern die Abschaffung des § 218!" mit unterschrieben. Da hat ihr niemand was erklären müssen. Da brauchte man sie nicht zu überzeugen. Postwendend kam der Brief mit der Unterschrift zu-
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