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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1977-1-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Schwarzer, Alice info
In: EMMA
Jahr: 1977
Heft: 1/2
ISSN: 0721-9741
List of content:
  • "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) [Presse]; "Der Spiegel" [Presse]; "Bild" [Presse]; "Kölner Express" [Presse]
  • Sprache: Nicht einzuordnen
    Beschreibung:
    Männerjustiz

    Welch schönes Symbol: DIE Justitia. DIE Gerechtigkeit. Doch sieht die Realität leider ganz anders aus. Justitia ist weder weiblich noch blind. Sie schaut sehr genau hin.

    Vor Justitia sind nicht alle gleich. Arme zum Beispiel müssen nicht nur früher sterben als Reiche, sie müssen auch länger sitzen. Denn wir haben in der Bundesrepublik eine Klassenjustiz. Das ist bekannt. Weniger bekannt ist, daß wir auch eine Männerjustiz haben. Justitia ist ein Mann! Denn:

    Frauen werden für gleiche Taten oft härter verurteilt als Männer!

    Frauen haben schlechtere Haftbedingungen als Männer!

    Frauen werden seltener begnadigt als Männer!

    Hier ein paar Beispiele aus den Analen der niederrheinischen Frauenhaftanstalt Anrath. Da ist Frau H. S. Sie war zur Tatzeit 32 Jahre alt, Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Ihr Geliebter erschoß ihren Ehemann. Nach neun Jahren gestand er die Tat. Sie war laut Urteil nicht einmal Mittäterin, wurde aber wegen »Anstiftung« zu lebenslänglich verurteilt. Er, der eigentliche Täter, bekam fünf Jahre und wurde ein Jahr später begnadigt. - Und Frau A. J., zur Tatzeit 32 Jahre alt, Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Sie bekam lebenslänglich, weil ihr Freund ihren Mann erwürgt hatte. Laut Gericht mit ihrer »Billigung« (nicht Mittäterschaft!). Der Freund und Täter wurde zu 14 Jahren verurteilt und nach acht Jahren begnadigt. — Oder Frau L. Sch., zur Tatzeit 33 Jahre alt und Hausfrau. Sie vergiftete zusammen mit ihrem Freund den Ehemann. Sie bekam lebenslänglich, er zehn Jahre. Begründung des Gerichts: er sei der Frau »hörig« gewesen. — Bei Frau M. schließlich erschlug der 20jährige Pflegesohn ihren Ehemann mit dem Hammer (er ertrug die Mißhandlungen seiner Pflegemutter durch diesen Mann nicht länger). Das Gericht vermutete in ihr die »Anstifterin« und Komplizin (was sie bestreitet). Der Sohn bekam sechs Jahre und wurde rasch begnadigt. Sie bekam lebenslänglich.

    Männerehre

    Und das sind nur ein paar Beispiele von vielen möglichen . . . Aber nur selten sind sie so offensichtlich. Meist sind die Taten von Frauen und Männern so unterschiedlich in Motiven, Umständen und Ausführung, daß sich ein direkter Vergleich nicht so einfach aufdrängt. Denn Frauen werden anders erzogen als Männer, sie haben ein anderes Leben und darum andere Gründe, kriminell zu werden. Auffallendster Unterschied: Beim Verbrechen sind Frauen vor allem Opfer, nicht Handelnde. So ist in der BRD das Risiko einer Frau, von ihrem Mann umgebracht zu werden, zehnmal so groß wie das Risiko eines Mannes, von seiner Frau umgebracht zu werden. Auch vor Gericht ist in einem solchen Fall das Risiko der Frauen größer. Die Mörderin bekommt fast immer lebenslänglich oder zehn, fünfzehn Jahre, der Mörder nicht selten einen Freispruch oder ein paar Jährchen mit Bewährung.

    Bei Gattenmord wurden von den weiblichen Tätern doppelt so viele zu lebenslänglich verurteilt wie von den männlichen Tätern! (Das ergab 1975 eine Düsseldorfer Dissertation von Janek Chomiak und Gerd Schumacher.)

    Irgendwo tief im Orient, da können Männer ihre Frauen einfach umbringen - so lesen wir mit Schaudern. Doch wären wir gewohnt, Gewohntes nicht hinzunehmen, so würden uns auch die kleinen Meldungen aus Berlin-Spandau oder Köln-Nippes alarmieren. Denn in der Bundesrepublik der 70ger Jahre herrschen wahrhaft orientalische Sitten. Seine Frau töten ist auch hier für einen Mann unter Männern oft nicht mehr als ein Kavaliersdelikt. Und vor Gericht sind ja Männer fast unter sich. Ungestraft oder milde getadelt können Männer Frauen töten, Hauptsache, es handelt sich um eine »schlechte« Frau: um eine »Schlampe«, die ihn in seiner »Männerehre« gekränkt hat.

    Beweise dafür? Es gibt kaum Untersuchungen darüber, keine Statistiken und keine Zahlen. Was kein Zufall ist. Ich muß darum einzelne Fälle aufzählen, um die Systematik hinter solchen Urteilen sichtbar zu machen:

    • Im November 76 milderte der Bundesgerichtshof das Urteil gegen den 38jährigen Schlosser Klaus Dunger von acht auf dreieinhalb Jahre. Herr Dunger hatte eine Prostituierte, Frau Kunzmann, deren Zuhälter er war, erschlagen. Das Gericht hielt dem Angeklagten zugute, daß Frau Kunzmann ihn »schwer gekränkt«, nämlich »dreckiger Zuhälter« und » Versager im Bett« genannt habe. Klaus Dunger erstach das Opfer, weil er das »Gekeife und Gezeter nicht mehr hören konnte«. Richter Haller führte in der Begründung für das milde Urteil die scheinbare Rollen-Umkehrung des Paares an: » Während üblicherweise der Zuhälter die Prostituierte beherrscht, war es in diesem Fall umgekehrt«.

    • Im Oktober 76 steht in Augsburg Karl Muhr, 22, vor Gericht. Er ist angeklagt, die 52jährige Barbara Hofbauer getötet zu haben. »Er würgte die Frau bis zur Bewußtlosigkeit, dann schlägt er ihr viermal den Wagenheber über den Kopf, schlingt ihr das Abschleppseil um den Hals und schleift sie mit seinem Wagen zu Tode.« Strafmaß: fünf Monate, abgegolten durch die Untersuchungshaft. . . Begründung: Das Opfer, eine Witwe, habe den Angeklagten nach einem gemeinsam verbrachten Abend verführen wollen. Er aber habe nicht gewollt. »Da hat sie mich einen Schlappschwanz geheißen und mich wüst beschimpft.« Außerdem habe sie ihn wegen seiner Hasenscharte verlacht. Kommentar des Richters: »Das Opfer ist schuld, nicht der Mörder.«

    • Im Mai 76 steht in Berlin der 49jährige X. vor dem Richter. Er hatte seine 50jährige Ehefrau mit Messerstichen schwer verletzt. Das Schwurgericht hielt ihm zugute, daß er betrunken und »durch eine schwere Beleidigung gereizt worden« sei. Es handele sich um die »Entgleisung eines sonst unaggressiven Menschen«. Der Angeklagte wurde zu 18 Monaten mit Bewährung verurteilt.

    • Zur gleichen Zeit steht, ebenfalls in Berlin, ein 29jähriger vor Gericht, der seine 34jährige Verlobte, eine Mutter von vier Kindern, durch Stiche in den Rücken mit einem Springmesser getötet hat (normalerweise strafverschärfend, da»heimtückisch«). Grund: Sie wollte sich von ihm trennen, was ihn vor allem deshalb erboste, weil er dann aus der ihr gehörenden Wohnung hätte ausziehen müssen. Außerdem »hatte sie ein Verhältnis mit einem Türken« und sei er »durch eine Äußerung von ihr in seiner Mannesehre gekränkt worden« (Tagesspiegel). Strafmaß: 18 Monate auf Bewährung.

    • In Regensburg wird im März 76 ein Polizeiobermeister, der seine Freundin erschoß, freigesprochen! — In München bekommt der Türke Yilmaz Cosar, der seine Freundin umgebracht hat, weil sie »eine emanzipierte Frau war, die für seine Alleinbesitzansprüche kein Verständnis zeigte« (sein Anwalt), sieben Jahre (Immerhin! ist ja auch »nur« ein Gastarbeiter. Er wird also weniger hart bestraft als eine deutsche Frau, aber härter als ein deutscher Mann. Sexismus wiegt schwerer als Rassismus.) — In Köln erwürgt der Sizilianer Francesco P. seine Ehefrau und wird im Juli 76 zu dreieinhalb Jahren verurteilt. Das Gericht hält ihm seine »gekränkte Ehre« zugute. — In München wird im Juni 75 der Kellner Klaus P., der seine Braut Rosemarie N. erwürgt und ihr die Kehle durchgeschnitten hat, zu zweieinhalb Jahren verurteilt. Das Gericht ist der Meinung, der Angeklagte sei durch ihre Äußerungen wie »Du kannst nicht einmal im Bett was, bist wie ein 60jähriger« zur Tat hingerissen worden. — In Hagen wird im Dezember 75 der 35jährige Friedhelm Burdenski zu zehneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte seine Freundin Ingrid Michalowski, die ein Kind von ihm erwartete und deshalb auf Heirat drängte, umgebracht. »Seine Geliebte war eine Frau von großer sexueller Ausstrahlung, die provozierte«, schrieb der Kölner Express. Das Gericht erkannte mildernd auf »Totschlag«, statt auf Mord.

    • In Berlin wurde im Februar 74 ein 34jähriger für »Körperverletzung mit Todesfolge« zu acht Jahren verurteilt. Er hatte seine Verlobte bei einem Abend zu dritt umgebracht. Der Tagesspiegel schildert den Tathergang so: »Die Verlobte hatte, bevor sie eintrafen, schon etwas Weinbrand getrunken. Nun wurde gemeinsam weitergefeiert und auch getanzt. Der Mann bevorzugte dabei die Besucherin. Seine deutlichen Annäherungsversuche gipfelten in der Bemerkung, er wolle mit ihr zusammen bleiben und seine Braut gehen lassen. Diese flehte ihn an, das nicht zu tun. Im Wortwechsel schlug sie ihm leicht ins Gesicht. Er reagierte mit einer Serie brutaler Fausthiebe. Als die Frau mit gebrochenem Oberkiefer am Boden lag, trat er derartig auf sie ein, daß sie außer einer tödlichen anderen Verletzung einen tiefen Leberriß erlitt. Dann schleppte er das Opfer in die Badewanne und betätigte die kalte Dusche.« Kurz darauf starb die Frau. Das Gericht sah die Tötungsabsicht nicht als erwiesen an.

    Frauenehre

    Das Honka-Urteil schließlich sowie auch das Urteil in der Presse ist einer der Höhepunkte der Männer-Kumpanei quer durch Presse-, Richter und Angeklagten-Bänke. Denn so wünschenswert es auch ist, daß auch in solchen Fällen nicht Kopf-ab! ertönt, sondern selbst dann noch die Frage nach dem Warum gestellt wird, so schockierend sind solche Urteile. Sie kommen einem Freibrief für Frauenmord gleich!

    Unvorstellbar, daß zum Beispiel Spiegel-Mauz über eine Mörderin, die vier Männer zerstückelt und eine Leiche auch noch sexuell verschandelt hat, so berichten würde . . . Und wer stellt bei Täterinnen die Frage nach der fehlenden Liebe oder dem»Gespräch zwischen den Geschlechtern«? Ein Mann darf diese Ansprüche haben, eine Frau wird, wenn sie sie äußert, lästig - ein Grund mehr, sie zu beseitigen. Zweifel an der männlichen Potenz oder gar Verweigerung - das kann für Frauen leicht tödlich enden. Die sogenannte »Mannesehre«, die ist das höchste Gut! Nennt sie ihn »Schlappschwanz«, will sie nicht, ist gar eine »Schlampe« und führt nicht ordentlich den Haushalt - ja, dann hat sie eben eine Lektion verdient. Endet die tödlich - Pech für sie.

    Schimpft aber er sie »Hure«, so hat er damit nicht etwa die »Frauenehre« verletzt — die gibt's gar nicht - sondern einen Beweis für ihre Minderwertigkeit geliefert (Honka-Urteil: »mehr oder minder verbrauchte, ältere Prostituierte«). Eine Hure darf man(n) schon mal umbringen . . . Und wenn die ihn auch noch »Zuhälter« genannt hat, wie im Fall Kunzmann, dann ist das - auch wenn's stimmt - ein Grund mehr.

    Die ganze Gewalt von Männern gegen Frauen ist ja etwas Banales, Alltägliches. Er kann sie jeden Tag schlagen, kann drohen, sie umzubringen, und niemand wird sich darüber empören. Und wenn er sie dann eines Tages aus »Versehen« totschlägt, ja, dann ist das eben nicht mehr als ein Ausrutscher: er ist ein wenig zu weit gegangen. Richtet sich aber Frauengewalt gegen Männer, so ist das etwas Unerhörtes! Dann statuiert eine Männergesellschaft rachsüchtig Exempel:

    • Im August 75 steht Ruth Kerckhoff, die »Giftmischerin von Köln«, vor Gericht. Wofür? Sie hatte ihrem Mann, einem Apotheker, über Monate kleinere Giftdosen ins Essen gemengt, die zwar nicht sein Leben gefährdeten, ihn aber krank machten. Ruth Kerckhoff beteuerte bis zuletzt, sie habe ihn nicht töten, sondern nur ein »bißchen krank« machen wollen. Als Apothekenhelferin muß sie die Dosierung genau gekannt haben. Doch bei ihr schlugen sich das 20jährige Ehe-Martyrium mit einem Mann, der sie prügelte und betrog, die Demütigungen durch diesen Mann, dessen kleine Angestellte und Putzfrau sie einst gewesen war, nicht mildernd im Urteil nieder. Herrn Kerckhoff geht es längst wieder bestens, Frau Kerckhoff bekam 15 Jahre!

    • Das Wuppertaler Schwurgericht verurteilt 1974 die 28jährige Arbeiterin Monika Kaiser zu lebenslänglich. Sie hatte ihren Verlobten mit 40 Beilhieben erschlagen. Grund: In krankhafter Eifersucht hatte sie geglaubt, ihr Verlobter wolle sie sitzen lassen. Der Wuppertaler Generalanzeiger kommentiert: »Immer dann, wenn etwas nicht nach ihrem Willen ging, wurde sie laut oder bedrohte ihre Kontrahenten . . . Vor Gericht gab sich Monika Kaiser jetzt geschraubt, aber gefühlskalt — eine Feststellung, zu der auch das Gericht kam.«

    • In Düsseldorf steht 1974 Renate Mocken vor dem Richter. Ihr Verbrechen: mit einem Mann befreundet gewesen zu sein, der seine Frau umgebracht hat. Sie war dabei weder Mittäterin noch Komplizin. Ihr einziges Verschulden: unfeine Bemerkungen des Stils»Entweder geht die kaputt oder ich«. Das Gericht verurteilte sie wegen »Anstiftung« zu 15 Jahren Gefängnis.

    • Im gleichen Jahr werden in Itzehoe Marion Ihns und Judy Andersen verurteilt. Sie ließen den Ehemann Marions durch einen gedingten Mörder umbringen. Strafmaß: lebenslänglich für beide. Ihr Leben, ihre Motive und die Umstände wurden bei dieser Höchstsstrafe nicht berücksichtigt. Judy war bereits mit vier Jahren zum ersten Mal vergewaltigt worden. Marion mit neun. Ihre Mutter, eine Näherin, mußte für sie und ihre vier Geschwister »anschaffen« gehen. Die eheliche Vergewaltigung war für Marion alltäglich (Bild über Herrn Ihns: ». . . auch seine häufigen Trinkereien werden plötzlich verständlich. Er mußte sich einen Rausch antrinken, um sich mit Gewalt holen zu können, was ihm >von Rechts wegen< zustand.«) Marions Tat aber ist » Bild« aufgrund dieser Vergewaltigungen durch den betrunkenen Ehemann, nicht verständlicher geworden . . . Kaum die Rede von dem leidvollen Frauenleben der Angeklagten, von ihren Demütigungen und Abhängigkeiten, viel dafür von ihrer Liebesbeziehung zueinander, in die sie sich geflüchtet hatten. Und das war es auch, was letztlich den Ausschlag für die Verurteilung gab. Juristisch wie moralisch. (Bild: »Wenn Frauen Frauen lieben, kommt es oft zum Verbrechen.« Und Mauz, der sonst so berechtigt die Frage nach Psyche und Sozialem stellt, argumentierte hier platt biologistisch: d.h., er verstieg sich dazu, von der »konstitutionellen Veranlagung« der Lesbierin Judy Andersen zur Homosexualität zu sprechen!) Vor Gericht standen weniger zwei Mörderinnen und mehr zwei Lesbierinnen, Frauen, die sich des größten Vergehens überhaupt schuldig gemacht hatten: nämlich Bett und Gefühl nicht exklusiv Männern anzudienen. Hier gab eine juristisch faßbare Tat gerade den rechten Vorwand zur moralischen und juristischen Verurteilung.

    Hexenprozesse

    Wenn Frauen verurteilt werden, werden sie immer auch für ihren Lebenswandel verurteilt. Eines der berühmtesten und traurigsten Beispiele dafür ist der Prozeß gegen Vera Brühne, der ein wahrer »Hexenprozeß« war (Pressezitat: »Sie ist ihrem Wesen nach das, was sie einmal in einem Faschingskostüm darstellte - die Frau im Tigerfell. Darunter ist ihre Haut, eine glatte, seidige Frauenhaut, die schon manchen Mann lockte und belohnte. Aber unter diese Haut selbst geht nichts.«) Wenn Frauen verurteilt werden, fallen Begriffe wie »triebhaft«, »sexgierig«, »provozierend«, »gefühllos« und — »respektlos« (vor dem Mann). Und wie auch immer die Angeklagte es wendet, es steht schlecht um sie. Ist sie hilflos, schüchtern und sagt nicht viel, begreift das Gericht überhaupt nichts und sie kriegt gleich die Höchststrafe. Ist sie sicher und gesprächig (wie im Falle Kaiser), irritiert ihr »unweibliches« Selbstbewußtsein das hohe Haus.

    Nur eine Möglichkeit gibt es für Frauen, einigermaßen heil davonzukommen: die ewig weibliche. Die Angeklagte hat sichtbar auf dem Pfade der weiblichen Tugend zu wandeln, oder dem, was Richter dafür halten. Tut sie das, kann sie sogar mit ungewöhnlicher Milde rechnen und männlichen Angeklagten gegenüber im Vorteil sein! So entsteht manchmal im Gerichtssaal der Eindruck, Frauen hätten es sogar leichter als Männer. Er trügt. Denn das brave Weibchen spielen — das können Frauen nur, wenn nicht ihre Tat an sich schon ein Vergehen wider die goldene Männerregel vom weiblichen Erdulden war. Ladendiebinnen und kleine Betrügerinnen zum Beispiel, die mögen schon mal ein paar Tränchen kullern lassen für den Herrn Richter. Kommen da auch noch die darbenden Kindlein zuhause ins Spiel, so könnte die Angeklagte Glück haben (muß aber nicht). Dann erlaubt sich die Männerjustiz - so sie ihren guten Tag hat — die noble Geste der Ritterlichkeit: Bei so rührend kleinen weiblichen Tricks kann man ja schon mal ein Auge zudrücken . . . Aber die garstigen Weiber, die kriegen um so mehr eins drauf! - Das ist wie mit dem Türaufhalten und den Frauenlöhnen. Wie sagte noch eine Amerikanerin, gefragt, ob es ihr als emanzipierter Frau denn recht wäre, wenn ein Mann ihr die Türe aufhielte, lächelnd? »Aber selbstverständlich - solange mich das in der Lohntüte nicht 10 000 weniger im Jahr kostet . . .«

    Mordrezepte

    Die Muster, nach denen hier Männer- und da Frauenurteile ergehen, ähneln sich in einem solchen Ausmaß, daß gröbste Verallgemeinerung erlaubt ist. Ich will das Makabre auf die Spitze treiben, um an der folgenden schrecklichen Parabel einiges klarzumachen: Gesetzt den Fall ich würde nach Patentrezepten zum Gattenmord gefragt — ich wäre um Antworten leider nicht verlegen. Allerdings sähe mein Ratschlag sehr unterschiedlich aus, je nach Geschlecht des Fragers. Was würde ich einem Mann raten? In der Wirtschaft mit Stammtischbrüder einen über den Durst trinken. Dabei laut und vernehmlich über das hysterische Weibsbild Zuhause klagen. Dem Richter klar machen, daß sie beim Nachhause-kommen gekeift hat - wie immer. Im Bett liefübrigens schon lange nichts mehr. Sie zierte sich. Auf seine Annäherungsversuche reagierte sie abweisend, ja verletzend. Da sah er plötzlich rot. Er weiß nicht mehr, wie es über ihn kam. Sie hat ihn in seiner Männerehre gekränkt. Er warf sie zu Boden, würgte sie und schlug ihr dann noch wie besinnungslos mit der Bierflasche auf den Kopf. Kein Richterherz, das sich da nicht vor Mitgefühl krampft . . . Denn wo wollten wir hinkommen, wenn auch Richter-Gattinnen so renitent würden? Das Psychologen-Gutachten endlich wird die Herren Geschworenen (und auch manche Dame) endgültig davon überzeugen, daß sich der Angeklagte aufgrund der »dauernden Kränkungen« in einem Ausnahmezustand befand. Auch die beruflichen Belastungen, denen er zu jener Zeit ausgesetzt war, müssen schließlich berücksichtigt werden . . . War die Frau auch noch Alkoholikerin (wobei nach dem Grund ihres Trinkens niemand fragt) oder sogar ein paar Jahre älter als er — ja dann kann er seiner maximal drei Jährchen mit Bewährung sicher sein. Denn wer mag da noch übel nehmen? Von »niederen Beweggründen«, »Heimtücke« oder gar »sexuellen Motiven« (alles Kriterien für die strafverschärfende Definition als »Mord« statt »Totschlag«) kann unter solchen Umständen ja nicht die Rede sein. Oder? Und einer Frau, was würde ich der raten? Schon schwieriger. Sie darf ihn auf gar keinen Fall gewalttätig umbringen, zum Beispiel mit dem Beil (»unweibliche Brutalität«).Sie darf ihn aber auch nicht gewaltlos töten, zum Beispiel mit E 605 im Kaffee (»weibliche Heimtücke«). Sie muß auch nicht glauben, sie dürfe sich wehren, nur weil er ihre Ehre verletzt, sie »Hure« oder »Schlampe« genannt hat! Auch nicht, weil er sie vergewaltigt oder halb totschlägt. Ganz schlecht ist, wenn sie einen lockeren Lebenswandel hatte oder hat oder auch nur so aussieht, als würde sie einen haben können. Sehr negativ könnten sich auch gelegentlich geäußerte gereizte Bemerkungen über die Kinder auswirken. Daraus kann geschlossen werden, die Angeklagte sei eine »schlechte Mutter«, ergo ein Unmensch, ergo aller Untaten fähig. Ganz fatal schließlich wäre ein auffällig gewordenes Interesse für die Emanzipation oder gar Männerfeindlichkeit . . .

    Mutterliebe

    Bei meiner Lektüre in den letzten Jahren habe ich nur ein soziales, das heißt, den Lebensbedingungen des weiblichen Täters und dem Verhalten des männlichen Opfers Rechnung tragendes Urteil finden können. Und auch hier war das Strafmaß nicht etwa Freispruch oder drei Jahre mit Bewährung, sondern fünf Jahre ohne Bewährung. Da wurde im Oktober 76 Gretel W. in Ludwigsburg verurteilt, weil sie ihren Mann erschlagen hatte. In der Presse stand zu lesen: »Weil ihr Mann selten arbeitete und sämtliches Geld vertrank, mußte die biedere Hausfrau 50 Stunden die Woche fremde Böden putzen. Abends wurde sie von ihrem betrunkenen Mann verprügelt. Oft mußte sie mit den drei Kindern auf den Speicher flüchten und dort ausharren, bis der Haustyrann eingeschlafen war. Er vergewaltigte seine elfjährige Tochter und hatte ein Verhältnis mit seiner Schwägerin.« (Köl- ner Express). Als er seine Frau dann auch noch mit 6000 Mark Schulden verlassen wollte, um ihre Schwester zu heiraten, geschah es. Die Täterin wird in der Berichterstattung ausdrücklich als »bieder« geschildert, die Schlagzeile des Berichtes lautet »Mutter erschlug Haustyrann mit dem Hammer!« - Nicht eine Frau also erschlug einen Mann, sondern eine Mutter einen Tyrannen. Einer»Mutter« ist es also gerade noch erlaubt, zu handeln, sich gluckengleich vor die Kinder zu stellen. Ihre Brut darf eine Frau verteidigen, nicht aber sich selbst. Die gesamte juristische Fachliteratur ist Beweis für einen tief verankerten Sexismus, für die systematische Diskriminierung des weiblichen Geschlechts. Sie ist voll Männerklischees über Frauen. So schreibt zum Beispiel Landgerichtsrat Ameluxen in der Fachpublikation »Kriminalstatistik Hamburg«: »Die Frau ist im Gegensatz zum Mann fähig, durch bloße seelische Erregung in einer Abenteuersituation lustbetonte Affekte, ja sogar Orgasmus zu erleben.« (Er muß es ja wissen . . .). Und warnt: »Wenn eine an sich gut veranlagte Frau einmal moralisch verdorben ist, so greift ihre Verwahrlosung tiefer und führt zu schlimmeren Konsequenzen als beim Mann in gleicher Lage, denn nicht nur im guten, auch im bösen läßt sich die Frau mehr vom Instinkt leiten als der Mann.« Ach, der weibliche Instinkt! Und erstmal der weibliche Sexualtrieb: »Der starke sexuelle Hintergrund der Frauenkriminalität zeigt sich sogar beim Diebstahl, der beim Mann ein reines Not-und Nutzdelikt ist ... Der beherrschende Einfluß der Schwangerschaft und des Klimakteriums auf die Diebstahlskriminalität ist heute in der Gerichtsmedizin unbestritten.« (Amluxen)

    Sexualtrieb

    Bedenken wir, daß 90 Prozent der weiblichen Strafgefangenen aus sozial benachteiligten Schichten kommen, so ist das, was der Herr Landgerichtsrat da als moralisch und juristische Wahrheit verkündet, nicht nur dumm, sondern auch zynisch. Und diese Art juristischen Räsonnierens ist nicht etwa auf norddeutschen Horizont beschränkt. Es ist weltweit. Ein solches Bild der Frau beherrscht fast die gesamte juristische und kriminalistische Fachliteratur — wie sollte es auch anders sein? Der Amerikaner Pollak zum Beispiel argumentiert in seinem Buch »The Criminality of Women« (Frauenkriminalität), Betrügereien und Täuschungsmanöver seien für Frauen nichts Ungewöhnliches, da sie es in der »sexuellen Sphäre« ja gewöhnt seien, alle vier Wochen ihre Menstruation zu verheimlichen . . .

    Fast alle der wenigen Experten, die der straffällig gewordenen Frau überhaupt die Ehre antun, sie für erwähnenswert zu halten, führen ihre besondere Situation nicht etwa auf soziale Gründe zurück, sondern auf biologische Gegebenheiten. Nicht das Leben einer Frau wird zum Verständnis der Tat beleuchtet, sondern die Tage bis zur nächsten Menstruation werden ausgezählt. Selbst die Wenigen, denen die ausschlaggebende Rolle von Lebensbedingungen und Umwelteinflüssen bei Straftaten generell längst klar ist, werden bei Frauenkriminalität schlagartig von patriarchalischer Kurzsichtigkeit befallen. Da bringen Mütter ihre Babies nicht etwa um, weil sie sie eigentlich nicht haben wollen und schon so überfordert sind, daß sie mit ihrem Leben auch ohne Kind kaum fertig wurden — nein, sie tun es, weil es ihnen an »Mutterinstinkt« mangelt, weil sie »eiskalte Geschöpfe« sind oder gerade in der »prämenstruellen Phase« waren.

    Weiberhysterie

    Da töten Frauen nicht ihre Männer, weil sie seit Jahren von ihnen geschlagen und gedemütigt werden; weil sie ökonomisch, sozial und seelisch zu abhängig waren, um gehen zu können - nein, sie tun es aus »Leichtfertigkeit« oder »Heimtücke«. Ob Täter oder Opfer - schuldig ist im Zweifelsfalle immer die Frau!

    Ein Frauenleben verläuft von der Wiege bis zur Bahre anders als ein Männerleben. Frauen haben daher andere Gründe, straffällig zu werden als Männer. Und sie werden es zum Teil auf andere Art. So sind Frauen zum Beispiel keine arrivierten Manager und haben darum kaum Gelegenheit, an der Wirtschaftskriminalität teilzunehmen. Frauen werden zur Passivität und Gewaltlosigkeit erzogen, lungern weniger auf der Straße herum, sitzen selten auf schweren Motorrädern - haben also kaum Gelegenheit, Chef einer Rockerbande zu sein oder Banken zu überfallen. Ein Frauenleben soll sich auch heute noch in den heimischen vier Wänden erfüllen, im Hausfrauen- und Mutterglück. Hier erfüllt sich darum auch Frauen-Unglück: 90 Prozent aller von Frauen ausgeübten Morde passieren zu Hause!

    Doch nur jeder zwölfte Mörder ist weiblich. Und nur jeder sechste Straffällige (17,5%) war 1975 eine Frau. Jeder zweite bis dritte leichte Diebstahl (meist Ladendiebstähle) geht auf ein Frauenkonto.

    Emanzipation

    Spekulationen des Stils »Emanzipation macht Frauen krimineller« sind darum zumindest in der BRD verfrüht, wenn auch nicht ganz abwegig. Aber die, die sie so übereilig anstellen, haben finstere Motive. Sie wollen mit diesen Unkenrufen die Emanzipation an sich diskriminieren. Dennoch: Solche Tendenzen zeichnen sich ab. Und es ist ja auch nur logisch, daß sich mit veränderndem Leben auch das Verhalten der Frau ändert. Nichts spricht für eine angeborene Friedlichkeit oder Gutheit von Frauen (so wenig wie Schwarze von Natur aus tumbe Onkel Toms sind und Juden raffgierige Rotschilds). Viel spricht allerdings für das unter den heutigen Umständen bessere Verhältnis von Frauen zum Leben und ein sozialeres Verhalten (darauf werden wir schließlich auch getrimmt). Aber noch hat sich in der BRD die weibliche Kriminalität so wenig fundamental geändert wie das weibliche Leben. Am steigenden Frauenanteil an der Gesamtkriminalität sind vor allem die Ladendiebstähle schuld, die von Frauen heute relativ doppelt so häufig begangen werden wie von Männern (sie kaufen ja auch mindestens doppelt so häufig ein wie Männer). Auch der absolute Frauenanteil an den Verkehrsdelikten steigt, so wie ihre Teilnahme am Verkehr. Der relative Anteil von Frauen bei Morden und Tötungen jedoch hat sich verringert, auch wenn der absolute Anteil sich verdoppelt hat. Es morden heute doppelt so viele Frauen wie vor 15 Jahren. Insgesamt hat sich die Zahl der Morde jedoch verdreifacht. Die Anzahl der Mörderinnen ist also nicht in demselben Maße gestiegen wie die der Mörder.

    Allein schon dieser Kalkül zeigt, wie kompliziert das mit den Statistiken ist und wie leicht Zahlen und Prozente für die jeweils passende Argumentation mißbraucht werden können.

    Ungnade

    Einige der ganz wenigen Untersuchungen von Frauenkriminalität, die nicht in der Blindheit des Vorurteils und Klischees steckenblieben, sind die Arbeiten von Dr. Helga Einsele und Prof. Elisabeth Trube-Becker (siehe auch Kästen). Beide haben eine jahrzehntelange Erfahrung in der Praxis, die eine als Gefängnis-Leiterin in Preunges-heim, die andere als Gerichtsmedizinerin und Universitäts-Professorin in Düsseldorf. Daß beide Frauen sind, ist sicherlich kein Zufall. Hier bringen Wissenschaftlerinnen ihre eigene Betroffenheit als Frau und ihre größere Sensibilität für Frauenschicksale ein. Prof. Trube-Becker hat 1971 die Schicksale aller damals 84 lebenslänglich in der Strafanstalt Anrath einsitzenden Frauen untersucht. In ihrem Buch »Frauen als Mörder« kam sie zu erstaunlichen Resultaten:

    • Ehefrauen morden mehr als Ledige!

    • In neun von zehn Fällen sind die eigenen Männer und Kinder das Opfer!

    • Jede siebte Mörderin war schwanger!

    • Jede siebte auch war unehelich (BRD Durchschnitt: jede(r) 25.).

    • Zwei Drittel waren in einer »Mußehe« verheiratet. (Die meisten hatten keinen gelernten Beruf.)

    • Männer morden in Ausnahmesituationen (Arbeitslosigkeit, drohende Scheidung etc.), Frauen aber in »normalen« Situationen. Das heißt, nicht die Ausnahme treibt die Frauen zur Verzweiflung, sondern die Regel, ihr ganz »normales« Leben.

    Die Lebensläufe der Frauen, die Trube-Becker skizzierte, sprechen für sich. Das Ausmaß des Elends und der wirtschaftlichen und seelischen Abhängigkeit ist erdrückend. Besonders erschütternd erschien mir die Aussage vieler Frauen, sie fänden es »im Gefängnis besser, als sie gedacht hätten«. - Es ist eben immer alles relativ und im Vergleich zum Ehegefängnis scheint das Staatsgefängnis immer noch erträglich — so unerträglich es eigentlich ist.

    Manche der Frauen sitzen seit über 20 Jahren in Anrath, die längste seit 28 Jahren! Dazu muß man wissen, daß die Dauer der Strafe bei lebenslänglich absolut willkürlich ist, das heißt, von der Gnade des jeweiligen Ministerpräsidenten eines Bundeslandes abhängt. Und die Anrather Frauen haben das Pech, einen ungnädigen Ministerpräsidenten zu haben. Während in Hamburg zum Beispiel alle Lebenslänglichen (Frauen wie Männer) automatisch nach 15 Jahren begnadigt werden, sitzen sie in Nordrhein-Westfalen am längsten. Ministerpräsident Kühn, Sozialdemokrat und einst Nazi-Emigrant, macht von seinem Recht, Gnadengesuche ohne Begründung abzulehnen, ausgiebigst Gebrauch.

    Zum Beispiel bei Erna Meyer. Sie vegetiert seit 15 Jahren in einer Anrather Zelle dahin. Ihr Vergehen: Ihr Baby ist erstickt. Im Indizienprozeß wurde behauptet, es sei kein Unfall (wie sie bis heute beteuert), sondern Mord gewesen. Nichts im Leben von Frau Meyer sprach für eine solche Verzweiflungstat: untadlige Mutter dreier Kinder (die mit ihrem Baby sogar bei Schnupfen zum Arzt rannte), sorgfältige Hausfrau, gute Ehe. Nur eines irritierte die Richter: Frau Meyer hatte den vernehmenden Polizisten erzählt, sie wolle jetzt keine Kinder mehr - dreie, das reiche. Daraus schloß das Gericht messerscharf, sie sei eines solchen Verbrechens durchaus fähig. Die Indizien werden heute yon Experten wie Prof. Trube-Becker für äußerst fragwürdig gehalten. Ja, sie ist sogar sicher, daß der damalige medizinische Befund des toten Kindes nicht für Mord, sondern für einen Unfall spricht !

    Ich habe Frau Meyer im Gefängnis besucht und war überrascht, wie gut die heute 40jährige Frau trotz allem überlebt hat. Sie scheint noch voller Wärme und Energie. Nur, wie lange noch? Eine Gefahr für die Gesellschaft war sie noch nie, vielleicht noch nicht einmal eine »Schuldige« - eine Begnadigung könnte Frau Meyer noch einmal eine Chance geben, könnte Korrelator für eine so blindwütige »Rechts«sprechung sein. Nichts. Gerade wurde das dritte Gesuch abgelehnt. Wissen NRW-Justizminister Posser, der die Gesuche weiterzuleiten hat, und Ministerpräsident Kühn, der zu entscheiden hat, in solchen Fällen eigentlich um ihre Verantwortung?

    Strafvollzug

    In welchem Ausmaß auch der Strafvollzug Frauen vernachlässigt und benachteiligt, zeigen die Ausführungen von Helga Einsele (Kasten). Es fängt schon damit an, daß der Frauenstrafvollzug, der quantitativ eine geringere Rolle spielt, als der Männerstrafvollzug, einfach gar nicht ernst genommen wird. Das heißt: die »Erkenntnisse« des Männerstrafvollzugs werden platt auf den Frauen-Strafvollzug übertragen (strenge Sicherheitsmaßnahmen), mit der Einschränkung, daß bei Frauen nicht dieselben Reformbestrebungen wie bei Männern zum Tragen kommen (zum Beispiel bei der Berufsausbildung im Gefängnis). Und der apriori besonderen Benachteiligung von Frauen, die oft. auch Ursache ihrer Kriminalität ist (geringeres Selbstbewußtsein, stärkere psychische Verletzbarkeit, noch schlechtere Berufsausbildung), wird schon gar nicht Rechnung getragen. Hat ein Mann wenigstens in Ausnahmefällen die Chance, wieder Fuß zu fassen (durch eine Berufsausbildung zum Beispiel), so werden Frauen im Gefängnis vollends aus der Bahn geschleudert. Auch die Umwelt - Familie, Nachbarn, Freunde - distanzieren sich von kriminellen Frauen stärker als von kriminellen Männern. Was bei einem Mann noch Übermut, Kavaliersdelikt oder über die Stränge schlagende Männlichkeit sein kann (»toller Hecht«), gehört sich für eine Frau einfach nicht. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß sich die Mehrheit aller Ehemänner von verurteilten Frauen flugs scheiden läßt, während die Mehrheit der Ehefrauen auch zu dem Mann hinter Gittern hält.

    Mordparagraph

    Mit der juristischen Verurteilung geht gerade bei Frauen die moralische Hand in Hand. Der sogenannte Mordparagraph, § 211, erleichtert die Willkür der männlichen Sicht. Sein Text kann nach Belieben interpretiert werden, denn es heißt: »Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst niedrigen Beweggründen einen Menschen tötet.« — Es geht also nach Nase . . . Und daß die überwiegend männlichen Richter es nur allzu bereitwillig »heimtückisch« finden, wenn eine Frau aggressiv gegen Mann oder Kind wird, versteht sich. Auch die überwiegend männlichen Verteidiger sind in ihrem Verständnis natürlich weit von der Welt ihrer Mandantinnen entfernt. Und nicht selten kommt es sogar vor, daß sie gegen das Interesse ihrer Mandantinnen handeln (so im Falle Ihns/Andersen, wo die Verteidigung äußerst mangelhaft war und auch im Falle Kerckhoff). Zur männlichen Interpretation der Straftat kommt ihre tatsächlich oft unterschiedliche Ausführung bei weiblichen Tätern. Es ist heute eine Realität, daß die meisten Frauen durch Erziehung und mangelnde Übung schwächer sind und ängstlicher bei körperlicher Gewalt. Sie riskieren also seltener als Männer einen frontalen Zusammenstoß, denn sie können sich das weder körperlich noch moralisch erlauben. Schlagende Männer sind üblich - und eines Tages ist einer der Schläge eben tödlich -, schlagende Frauen wären bestenfalls ein schlechter Witz, und wenn sie Pech haben, landen sie in der Psychiatrie. Frauen sind darum häufig gezwungen, einen Mord »listiger« zu planen als ein Mann - und schon kann rein juristisch vom »Totschlag im Affekt« nicht mehr die Rede sein. Die Tat kann so leichter als Mord interpretiert werden und für »Mord« sieht das deutsche Gesetz zwingend lebenslänglich vor. Der Mordparagraph ist generell ein fragwürdiges und umstrittenes Gesetz. Doch für Frauen wirkt er sich noch tragischer aus als für Männer, denn er ist in den Händen einer Männerjustiz. Und in den Augen dieser Männerjustiz haben Frauen nicht aus der Rolle zu fallen.

    Da beging neulich ein Vater in Mühldorf mit seinen vier Kindern Selbstmord. Vor Gericht zitiert wurde die Mutter, Irmgard Blienhuber. (Express-Titel: »4 Kinder starben, weil Mutter nicht treu sein konnte.«) Eine Umkehrung dieses Falles ist undenkbar. Wer käme bei einer verzweifelten Mutter, deren Mann fremdgeht; oder bei einem vernachlässigten Kind schon auf den Gedanken, den Vater für mitverantwortlich (oder gar alleinverantwortlich!) zu halten?! Auch bei der Tötung Neugeborener durch die Mutter fragt niemand nach dem Verbleib der »Erzeuger« (die sind meist längst über alle Berge).

    Vaterinstinkt

    Ob ein Vater ein Kind zu Tode mißhandelt oder eine Mutter das tut, das ist in einer Gesellschaft, die so gern vom »Mutterinstinkt« redet und den Begriff »Vaterinstinkt« noch nicht einmal in ihrem Vokabular hat, nicht das gleiche. Ein paar Beispiele: In Berlin stirbt im Juli 76 ein entwicklungsgestörtes, achtjähriges Kind an den Folgen väterlicher Fußtritte mit einem Holzschuh. Strafe für den Vater: 1500 DM. - Ebenfalls in Berlin stirbt ein vier Wochen altes Baby an einer Erkältung, die zu spät behandelt wurde. Der jungen Mutter wird vorgeworfen, sie habe das Kind extra in einem ungeheizten Zimmer stehenlassen (der Vater ist zu dieser Zeit im Gefängnis). Die junge Frau, die ihre gesamte Kindheit in Heimen verbracht hat, hatte kurz zuvor einen Selbstmordversuch gemacht. Strafmaß: Zehn Jahre Gefängnis. - In München vergiftet ein Vater am Heiligabend seinen "Sohn und ersticht ihn außerdem mit einem Stilett. Strafe: dreieinhalb Jahre (ihm wurde seine Verzweiflung und die Tatsache, daß er einen Selbstmordversuch gemacht hatte, zugute gehalten). - Ebenfalls in München steht die Hausfrau Christine Cerny vor Gericht. In einem sogar von der Berichterstattung für fragwürdig gehaltenen Indizienprozeß wird sie zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr angebliches Vergehen: Sie soll eines ihrer drei Kinder umgebracht haben (ein Pflegekind, das sie zusätzlich aufgenommen hatte). Frau Cerny blieb bis zuletzt dabei, es sei ein Unfall gewesen, das Kind sei ihr auf den Boden gefallen. Nichts an ihren Lebensumständen sprach für ein solches Verbrechen. Die Indizien schienen auch Experten nicht zwingend. Argumentation des Schwurgerichts: »Die Angeklagte zeigte auch in der Hauptverhandlung eine ungewöhnliche Gefühlskälte.«

    Wer würde in einem solchen Zusammenhang schon von der »Gefühlskälte« oder der »mangelnden Fürsorge« eines Vaters sprechen? Das ist Frauensache. (Die »Frau eines Bankdirektors« aber, die bekommt dann auch für Kindesmißhandlung - so wie es neulich passiert ist - nur eine kleine Geldstrafe.)

    Aber es tut sich etwas. »Die Frauen wehren sich mehr als früher«, stellt Gerichtsmedizinerin Trube-Becker fest. »Sie lassen sich weniger prügeln von ihren Männern. Früher war es üblich, daß zusammengezuckt wurde, die ganze Familie in eine Ecke flüchtete und wartete, bis Vaters Zorn vorbei war. Neuerdings wehren sie sich. Und nicht nur deutsche Frauen, sogar Gastarbeiterinnen, sogar Türkinnen und Italienerinnen schlagen zurück.«
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