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Guten Morgen, Du Schöner

in: EMMA
1990 , Heft: 6 , 31 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1990-6-a
Formatangabe: Nachlass
Link: Volltext
Verfasst von: Morgner, Irmtraud info
In: EMMA
Jahr: 1990
Heft: 6
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Guten Morgen, Du Schöner

Irmtraud Morgner

Dies sind Auszüge aus dem dritten, noch nicht erschienenen Teil der Triologie (ErsterTeil: "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatritz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura", zweiter Teil: "Amanda. Ein Hexenroman" - beide im Taschenbuch bei Luchterhand).

Natürlich sind weibliche Trobadore aus der Mode, Bevor sie je in ihr waren.

Guten Morgen, Du Schöner, für den ich nun schreibe. In der Ausnüchterungszelle. Wo die Tagesordnung hängt, zu der übergegangen werden soll. Die neue: der alte Hut. Mir ist so kalt ums Hirn.

Schmerzensschreie gehören heute zum guten Ton oder zu einem, an den man sich gewöhnt hat. Freudenschreie erwecken mitunter selbst von den Toten. Ihnen fühlte ich mich zugehörig, obgleich der gegenwärtige Weltzustand mich ausgetrieben hatte. Ich konnte unter der Erde keine Ruhe finden. Über ihr war ich noch unbehauster. Ich, Beatrix de Dia, gestorbene Comtesse und Trobadora, auferstandene Sirene ohne Stimme, nicht tot also und nicht lebendig: Wer oder was ist weniger? Guten Tag und ich kann Dir meine Empfindung nicht erklären, es ist eine gewisse Leere - die mir halt wehe tut, ein gewisses Sehnen, das nie befriedigt wird, folglich nie aufhört, immerfort dauert, ja von Tag zu Tag wächst, es ist leicht, das Leben zur Hölle zu machen, wenn man es mit Gewalt zum Paradies machen will. (...) Ich suchte ein Dach, um meine Federn zu trocknen. Bekanntlich tragen Sirenen Federn. Und der Frühlingshimmel (...) war naß und kalt und für Federvieh eine Zumutung. Für weißes Federvieh insonderheit. In Dreckwolken war mein Federkleid schnell ergraut. Andere standen zum Durchfliegen nicht zur Verfügung. Ratlosigkeit hatte mich in die Luft geworfen. Über mir Abgashimmel. Unter mir sterbende Wälder. Verzweiflung trieb mich nach Süden. Wo ich gebürtig bin. Von der Lieblichkeit Provence erhoffte ich die verlorene Hoffnung: Meine Stimme. (...)

Ich hatte einst auf Raimbaut d'Aurenga etliche Kanzonen gedichtet, die nicht überliefert sind. Nur die, in denen theoretische Liebestränen fließen, sind überliefert. Echte lassen sich nicht so handlich zu Versketten auffädeln. Denn der wirkliche Trobador Raimbaut, der nicht der Wirklichkeit entsprach, war über alle maßen schön. Ein friedliches Wesen, das Geduld aufbringen konnte, über sich lachen, verlieren, mit Kindern spielen, zuhören, lieben: nicht nur Männer oder sich, nicht nur sich im andern; sondern den andern in sich. Selbst seine eigenen Kinder, neun an der Zahl, behandelte er konsequent als kleine Menschen, nicht als Besitz, Beweisstücke von Potenz oder Schmusgeräte auf Abruf. Er brachte ihnen nicht Wallungen, sondern stete, unerschöpfliche Zuneigung entgegen. Einmal sprach er im Rittersaal mit ähnlichen Worten beiseite: "Unsereiner wundert sich jetzt schon mal. Aber wir werden uns noch viel mehr wundern. Und noch ganz anders, hoff ich, denn es ist noch kein Ende abzusehen. Uns steht kein langweiliges Leben bevor, wenn die Damen erst tun wollen, was sie tun wollen, nicht, was sie tun sollen. Was werden sie als Menschen sagen über Männer, nicht als Bilder, die sich die Männer von ihnen gemacht haben? Was wird geschehen, wenn sie äußern, was sie fühlen, nicht was zu fühlen wir von ihnen erwarten. Neulich sagte die Gattin eines Dichters, von Frauen wären keine Liebesgedichte zu lesen. Die Gattin hatte recht, nur wenige Damen möchten ihren Ruf dem Geruch der Abnormität preisgeben. Frauen ohne unterdrücktes Liebesleben gelten als krank (nymphoman). Männer solcher Art gelten als gesund (kerngesund). Kann sein, wir werden eines Wintertags nicht mehr in die Influenza flüchten müssen, um mal schwach sein zu dürfen, kann sein, wir gestatten uns eines Tages nicht nur beim Meerrettichessen eine Träne, ach, einmal den Hof gemacht kriegen, öffentlich..." Ich hatte diese Worte Raimbauts in meinem ersten Leben laut wiederholt, auf daß alle Höflinge sie hören konnten. Da erklärte mein Gemahl Guilheim von Poitiers meinen Geist für krank, führte mich aus dem Saal und hielt mich fortan in der Kemenate gefangen. Vorm Verdacht der Ketzerei bewahrte mich damals mein Stand.

Heute bin ich vogelfrei. Und der Traum vom wirklichen Raimbaut, der nicht der Wirklichkeit entsprach, ist passe, bevor er gelebt werden konnte. Nicht nur die weiblichen Trobadore, sondern auch deren besingenswerte Phänomene sind aus der Mode. (...) Meine zweite Stimme, die meiner ersten glich und längst im Keller verhallt war, erreichte endlich mein Ohr. Kleine Stimme, auferstanden, winzige trobadorische Stimme, wirklich und wahrhaftig auferstanden von den toten Toten und geworfen unter die lebendig verplanten Toten (...) Ganz leicht überhörbare Menschenstimme im infernalischen Weltlärm - und doch noch lebendig: Wer oder was ist jetzt mehr? "Ich bin ein Mensch", schrie ich und tanzte in den Federn. "ich bin wieder ein Mensch", schrie ich, "wirklich und wahrhaftig ein Mensch, und wer bist du?"
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