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in: C 5 BAF-Ausstellung "In Bewegung. 30 Jahre Frauenbewegung in Tübingen"

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Einrichtung: baf e.V. | Tübingen
In: C 5 BAF-Ausstellung "In Bewegung. 30 Jahre Frauenbewegung in Tübingen"
Körperschaft: In Bewegung - 30 Jahre neue Frauenbewegung in Tübingen
Bestell-Signatur: AUS 00
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Das Projekt

Das Ziel, die "Neue Frauenbewegung in Tübingen" auszustellen, begleitete die Vereinsarbeit von BAF e.V. bereits seit 1995/96. Auf ABM-Basis hatten Irmgard Zeeden und Alice Mistygatz Erschließungs- und Recherchearbeiten zum Thema durchgeführt und eine Arbeits-gruppe koordiniert (vgl. BAF-Vereinsakten 22). Ein erstes Ergebnis war eine kleine Ausstel-lung zur Geschichte des 8. März, die im Februar und März des Jahres 1996 im Stadtmuseum gezeigt wurde. Beflügelt von den hier gemachten Erfahrungen und inhaltlichen Erkenntnissen gingen im Anschluss Roswitha Degenhard, Hilde Maurer, Susanne Maurer, Christiane Pyka, Angela Schenkluhn und Irmgard Zeeden als Hauptverantwortliche daran, nun das "Projekt zur großen Ausstellung" zu verwirklichen (AUS 01, Ergebnis-Protokoll der Nachbesprechung 25.3.1996).

In der Ausstellung sollte die "Neue Frauenbewegung der 1960er bis 1990er Jahre als eine der großen Sozialen Bewegungen der letzten dreissig Jahre" gewürdigt werden (Kurzskizze, 08/1997, AUS 01). Zunächst für das Jahr 1998 geplant wurde sie bald jedoch für 1999 termi-niert und als Jubiläumsveranstaltung ausgerichtet. Zum lokalen Stichtag wählten die Frauen einen Vortrag von Ulrike Meinhof, der 1969 im Clubhaus der Uni Tübingen zum Thema "Frauen im SDS" stattgefunden hatte und im Rückblick von Zeitzeuginnen als Beginn der Bewegung erinnert wurde.

Zunächst unregelmäßig und unverbindlich, später regelmäßig alle zwei bis drei Wochen trafen sich 11-6 Frauen bei BAF in der Bibliothek im Tübinger Casino oder auch bei einer der Frauen zu Hause. Sie sammelten Ideen, thematisierten ihre eigene, persönliche Bewegungsgeschich-te, strukturierten ihre Arbeitsabläufe und schrieben Konzeptionen. Dabei stellte sich bald her-aus, dass sehr unterschiedliche biographische wie fachliche Zugänge zum Thema zu berück-sichtigen waren. Als Gruppe, die ihre Arbeit die gesamte Zeit hindurch als eine kollektive Ar-beit verstand, machten sie darum die Unterschiedlichkeit zum `roten Faden' der Konzeption: Es sollten möglichst viele Ansätze aufgezeigt werden, auch und gerade die Brüche und Wi-dersprüche oder, wie Angela Schenkluhn zusammenfasste, es sollten "liebevoll kritische Be-trachtungen der Frauenbewegungen" entstehen (Kurzprotokoll 5.6.1997, AUS 01). Davon profitierte nicht zuletzt die Ausstellung selbst, die mit den kunsthistorischen, kulturwissen-schaftlichen, pädagogischen und soziologischen Kompetenzen der Ausstellungsmacherinnen gestaltet wurde.

Ihre Vorgehensweise charakterisierten die Frauen als ebenso produkt- wie prozessorientiert. Neben der Dokumentation der Frauenbewegung in Tübingen stand daher immer auch der persönliche Zugang und Zusammenhang zur Frauenbewegung im Vordergrund, wie er sich im Leben jeder einzelnen Frau, ob in der Projektgruppe oder als Zeitzeugin, gestaltete (AUS 01, Kurzskizze 08/1997). Wie es Susanne Maurer formulierte: "Ziel des Tübinger Projekts ist nicht zuletzt, zu einer Darstellung politischer Konzepte und `frauenbewegter Kulturschöpfun-gen' zu finden, die zugleich auch die inhaltliche Vielfalt innerhalb des Feminismus widerspie-geln soll" (Susanne Maurer 1999).

Das Gesamtprogramm des Projekts setzt diesen Zugang konsequent um. Die Ausstellung, realisiert in der Kulturhalle der Stadt Tübingen am Nonnenhaus, "versteht sich nicht einfach als Präsentation von Exponaten, sondern will vielmehr die prozeßorientierte Forschung in der Form und Struktur der Darstellung bzw. Inszenierung zum Ausdruck bringen. Dazu gehört z.B. der Aspekt, daß Besucherinnen und Besucher zur Ausstellung durch eigene Erinnerun-gen und Reflexionen beitragen können." (Kooperationstreffen 8.12.1998, AUS 01). Inhaltlich geht sie den Fragen nach, "welche Ideen (...) in feministischer Perspektive neue politische, kulturelle Öffentlichkeiten und soziale Zusammenhänge geschaffen haben? Welche Räume konnten Frauen für sich finden oder erschaffen - in räumlicher wie in symbolischer Hinsicht? Und wie haben die Stadt Tübingen und die Region die Impulse der Frauenbewegung aufge-nommen und sind selbst verändert und beeinflußt worden?" (Ausstellungskonzept o.D., AUS 04)

Das daneben eigenständig konzipierte Begleitbuch zur Neuen Frauenbewegung in Tübingen greift die Themen aus der Ausstellung auf, bietet darin aber eigene Zugänge und Darstel-lungsweisen. "Der Katalog ist als fundiertes Begleitbuch geplant, das gleichzeitig eigenständi-ges Produkt sein wird. (...) Er soll lesbar, anschaulich, graphisch und inhaltlich anspruchsvoll gestaltet werden." (ebd.)

Und nicht zuletzt gab es ein vielfältiges Begleitprogramm zur Ausstellung, das sowohl von Frauen aus der Ausstellungsgruppe als auch von anderen Frauenprojekten in Tübingen durchgeführt wurde (Auflistung der Veranstaltungen 20.4.1999, AUS 01). Als Kooperations-partnerinnen konnten autonome Frauengruppen und -projekte gewonnen werden sowie Frau-en aus Kirche, Parteien, Gewerkschaften, Theater und Presse. Zwischen Oktober und De-zember 1999 veranstalteten sie in Tübingen 40 verschiedene Veranstaltungen (Veranstal-tungsprogramm, AUS 04)

Die Organisation dieses inhaltlich anspruchsvollen Projekts wurde von Anfang bis Ende frei-willig und unbezahlt bewältigt. Zwar war anfänglich wenigstens eine bezahlte Kraft auf Hono-rar- oder ABM-Basis zur Koordination der Arbeit fest eingeplant. Da jedoch nach und nach alle Förderanträge und Sponsoringanfragen abschlägig beanwortet wurden (vgl. AUS 02), machten die beteiligten Frauen ehrenamtlich weiter. Phasen des aktiven Einsatzes wurden daher immer wieder abgelöst von Phasen der eigenen Lebensbewältigung in Studium und Beruf. Das Ziel, mit einem festen Datum versehen, wurde nicht aufgegeben. Doch wurde die Frage nach der "Verantwortung" (Protokoll 25.4.1997, AUS 01) zentral und musste im Verlauf der insgesamt drei Jahre dauernden Projektarbeit von den beteiligten Frauen immer wieder neu beantwortet werden. So heißt es in einem Rundbrief: "Die Frage nach den Kapazitäten und der Einsatzbereitschaft jeder einzelnen stellt sich aufs Neue. Bitte schaut Euch die Adres-sen- und AG-Liste, die Martina erstellt hat, an: Entscheidet, wie/wo/wann Ihr Eure Zeit und Energie einsetzen wollt und ergänzt bzw. korrigiert die Liste entsprechend" (Rundbrief 7.5.1998, AUS 01). Diese überlieferten Rundbriefe und Listen mit der Verteilung von Arbeits-aufgaben zeugen von der großen Einsatzbereitschaft und der Energie der Teilnehmerinnen und auch von den begrenzten Kapazitäten, die die Arbeit in einem ehrenamtlichen Projekt zusätzlich zu der fehlenden Finanzierung auffangen muss.

Zuletzt wurde die Stadt Tübingen zur verlässlichsten Unterstützung. Die städtische Kulturhalle am Nonnenhaus konnte unentgeltlich genutzt werden, das Begleitbuch wurde als Nr. 54 der Reihe "Tübinger Kataloge" des Kulturamts mit Übernahme der Druckkosten herausgegeben und die Frauenbeauftragte unterstützte die Projektmitarbeiterinnen mit Empfehlungschreiben und know-how.



Das Material

Wie die vorangestellte Beschreibung bereits deutlich gemacht haben dürfte, ist die Arbeit der Projektgruppe gut dokumentiert. Ihre Vorgehensweise als Kollektiv erforderte die dauernde schriftliche Kommunikation, die von den Frauen jeweils in strukturierter und ergebnisorientier-ter Weise geboten wurde. Gleichzeitig ließ die unbezahlte und freiwillige Arbeitsweise wenig Raum für eine einheitliche Ablage, was sich nicht zuletzt nach dem Ende des Projekts an den verbliebenen `Überresten' des Projekts zeigte. In den Kartons lagerte das Material verschie-dener Mitarbeiterinnen - Schriftgut, Exponate, Fotos, Audio- und Videokassetten, originale Archivalien - häufig ohne Provenienzangabe oder Zugehörigkeit. Es wurde deshalb von den Bearbeiterinnen neu geordnet, in drei inhaltliche Bereiche aufgeteilt und in 28 Akteneinheiten zu 1 lfm zusammengefasst:

Das während der Projektphase angefallene Schriftgut zu Organisation und Arbeitsweise stammt hauptsächlich von Susanne Maurer, Christiane Pyka, Angela Schenkluhn und Roswitha Degenhard. Um hier Doppelungen in der Überlieferung zu vermeiden, wurden die von ihnen gesammelten Protokolle, Korrespondenzen und Konzeptionen, die Pläne zum Aus-stellungsaufbau und die Aufsichtlisten thematisch und chronologisch zu je einer Akteneinheit zusammengeführt. Ebenso wurde mit den gesammelten Materialien und Exponaten verfah-ren.

Die Archivierung der Ausstellungsexponate erfolgte exemplarisch und pragmatisch. Die großvolumigen Inszenierungen waren nach dem Abbau unvollständig bei BAF aufbewahrt worden. Sie wurden im Zuge der Verzeichnung zurückgegeben oder anderweitig verwendet. Eine fotografische Dokumentation der Ausstellung ist im BAF-Bilderarchiv einsehbar.

Exemplarisch fand eins der für die Präsentation der Flugblätter extra angefertigten "Holzbü-cher" der Ausstellung einen neuen Platz in der BAF-Bibliothek. Die darin gezeigten Flugblätter, wie auch die Materialien der übrigen vier "Holzbücher" wurden dem Bestand unter der Rubrik "Exponate" zugeordnet (AUS 08-12). Da es sich größtenteils um Originalarchivalien aus dem BAF-Archiv handelt, sind sie inhaltlich verzeichnet worden.

Die übrigen dreidimensionalen Objekte wurden archiviert, wenn ihre Ausmaße mit den Auf-bewahrungsmöglichkeiten eines Archivs kompatibel waren, das heißt, wenn sie in einer Scha-tulle oder einem Regal Platz fanden (AUS 17-22).

Bei den Materialien (AUS 23-28) handelt es sich vor allem um Originalarchivalien aus der BAF-Sammlung Graue Literatur, die im Vorfeld für Ausstellung und Begleitbuch entnommen worden waren. Um den Arbeits- und Ideenkontext des Projekts zu erhalten, aber auch aus ökonomischen Gründen, wurden sie insgesamt beim Bestand belassen und einzeln verzeich-net. In den Materialien des Ausstellungsbestands C 5 befindet sich damit die Quintessenz der BAF-Sammlung Graue Literatur, weil naturgemäß die aussagekräftigsten und eindrücklichs-ten Exemplare für die Präsentation ausgesucht wurden. Für zukünftige Recherchen empfiehlt es sich daher, bei allen Anfragen zur Neuen Frauenbewegung in Tübingen zuerst diesen Be-stand zu nutzen.

Die Fotos des gesamten Bestands sind aus technischen Gründen in das BAF-Bilderarchiv einsortiert worden. Dort sind sie über die Stichworte "Ausstellung" und "Exponate" recher-chierbar. Auch die Audio- und Videokassetten wurden dem - noch unverzeichneten - Audio- und Videobestand des BAF-Archivs zugeordnet. Sie sind im Anhang des Findbuchs auf einer Liste dokumentiert.



Die Überlieferung des BAF-Projekts "In Bewegung. 30 Jahre Frauenbewegung in Tübingen" ist vielseitig nutzbar. Inhaltlich ergänzt sie das Begleitbuch, das als eine der ersten Veröffentli-chungen den historischen wie aktuellen Wert der Neuen Frauenbewegung in Deutschland anschaulich aufbereitet. Die dokumentierten Diskussionen um den Gehalt des Ausstellungs-themas "Neue Frauenbewegung" geben wertvolle und weiterführende Hinweise auf das Un-tersuchungsobjekt in all seinen gesellschaftlichen und politischen Dimensionen. Die protokol-lierten Biographien zur persönlichen Frauenbewegungsgeschichte ermöglichen Einblick in die Verschränkungen politischer und persönlicher Strukturen und Bedürfnisse sowie die Wirkwei-sen und Mechanismen sozialer (Protest-)Bewegungen. Zu weiteren Auswertungen laden die auf Audiokassetten überlieferten Interviews samt ihren Transkriptionen ein. Und nicht zuletzt bietet die thematische Sammlung an Flugblättern, Broschüren und Fotos einen analytisch aufbereiteten Zugang zu verschiedenen hochbrisanten Themen um Sexualität, Arbeit, Selbst-bestimmung und Lebensentwürfen von Frauen am Ende des 20. Jahrhunderts.

Für die Durchführung zukünftiger Projekte stellt der Bestand viel Anschauungsmaterial bereit, wenn ohne finanzielle Unterstützung der Anspruch realisiert werden soll, ein inhaltlich wie äs-thetisch wegweisendes Resultat zu erzielen. Die hier dokumentierte Gruppenarbeit reicht von Diskussionen um Themen, Inhalt und Methoden, über die Erstellung von Interviewleitfäden, die Suche nach GeldgeberInnen und nach Ausstellungsobjekten bis zum handwerklichen Aufbau der künstlerischen Ausstellungsinszenierungen, der literarischen Umsetzung in allge-meinverständliche Texte und der Öffentlichkeitsarbeit und Kooperation mit sehr unterschiedli-chen Gruppen und Gewährsfrauen. Nicht zuletzt die von Mitgliedern der Ausstellungsgruppe handgezeichneten Baupläne für Stelen, Regale, Stellwände oder Objektkästen inclusive der Material-Bedarfslisten (vgl. AUS 06) vermitteln ein lebendiges Bild der Kreativität und `Alles-könnerinnenschaft' der Ausstellungsmacherinnen.

Insgesamt ist der Bestand "BAF-Ausstellung In Bewegung" das archivierte Zeugnis für ein faszinierendes Projekt, dessen Anstrengungen und Energien, Kreativitätspotentiale und -ergebnisse nicht vergessen werden sollen. Die Ausstellung, das Buch und die Begleitveran-staltungen bereichern als "größtes feministisches Kooperationsprojekt, das Tübingen je gese-hen hat" (AUS 07) auf lange Sicht das kulturelle Leben und das Verständnis von Geschicht-lichkeit in der Stadt. Für die Geschichte von Frauen sind Projekt wie Bestand damit ein lokaler Meilenstein, der die Neue Frauenbewegung als dynamischen Faktor im gesellschaftspoliti-schen Wandel der Bundesrepublik Deutschland historisch anerkennt und wesentlich einbe-zieht.





Archivalien:

BAF-Bilderarchiv 2001-787 bis 2001-857, Ausstellungsaufbau und Vernissage

BAF-Bilderarchiv 2005-1428 bis 2005-1700, Bestand C 5 BAF-Ausstellung "In Bewegung. 30 Jahre Frauenbewegung in Tübingen".



Literatur:

beiträge zur feministischen theorie und praxis: Wer schreibt der bleibt. Die Neue Frauenbewegung. Heft 66/67 (2005)

Degen, Barbara: "Die Kraft, die uns bewegt" - Utopien in der Geschichte der westdeutschen Frauen-bewegung. In: metis 20 (2003), 12-35

Kulturamt der Universitätsstadt Tübingen (Hg.): In Bewegung. 30 Jahre Neue Frauenbewegung in Tü-bingen. Tübingen 1999

Maurer, Susanne: "Meine Frauenbewegung, Deine Frauenbewegung". Die Neue Frauenbewegung als Forschungsgegenstand. In: Margarethe Kees, Annette Keinhorst (Hg.): Kein Ort nirgends? Dokumen-tation einer Fachtagung zur regionalhistorischen Frauenforschung (Reihe "Dialog" der Stiftung Demo-kratie Saaland). Saarbrücken 1999, S. 36-45, Auszug in: AUS 26.

Müller, Ursula G.T.: Die Wahrheit über die lila Latzhosen. Höhen und Tiefen in 15 Jahren

Frauenbewegung. Gießen 2004

Bea Dörr und Gesa Ingendahl, März 2006
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