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0. Vorwort

in: C 1 Frauen gegen Militär

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Einrichtung: baf e.V. | Tübingen
In: C 1 Frauen gegen Militär
Körperschaft: Frauen gegen Militär
Bestell-Signatur: MIL 00
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
"Die Gruppe `Frauen gegen Krieg und Militarismus' entstand vor 3 Jahren [1979] aus dem Bedürfnis heraus, nicht mehr länger dazu zu schweigen, wenn über uns als Frauen verfügt wird". So stellte sich die Gruppe auf der Tübinger Friedenswoche 1981 vor (MIL 01). Aus dem Tübinger "Verein für Friedenspädagogik" heraus und eingebunden in den Kontext der bun-desdeutschen Friedensbewegung der 1970er und 1980er Jahre wurden die Frauen politisiert und sensibilisiert für die Geschlechtsspezifik von Krieg, Macht und Unterdrückung. Daraus entwickelten sich in Tübingen und in der gesamten BRD separate Frauengruppen. Sie zählten sich zur Friedensbewegung, entdeckten aber auch die Frauenbewegung für sich und verla-gerten darüber ihren Interessenschwerpunkt (s. auch Judith Rauch: Feministin der zweiten Stunde", 1991, in: MIL 02).

Die Tübinger Frauengruppe nannte sich "Frauen gegen Militarismus" oder synonym "Frauen gegen Militär" oder "Frauen gegen Krieg und Militarismus". Ihr gehörten 10 Frauen an, die sich zunächst Freitags um 18 Uhr in den Räumen des Vereins für Friedenspädagogik, Seelhaus-gasse 3 in Tübingen trafen. Ab 1982 versammelten sie sich zum gleichen Termin in den Räumen des Frauenzentrums in der Haaggasse 34. Doch blieben sie weiterhin auch mit dem Verein für Friedenspädagogik in fruchtbarem Austausch (vgl. B 1, Frauenzentrum Tübingen, FZ 047).

Ihre Arbeit erläuterten sie so: "Im Versuch der Integration der Frauen in den Militärapparat sehen wir einen Schritt zur umfassenden Militarisierung der Gesellschaft, dem es entgegen-zutreten gilt. Das Öffnen des Militärapparats für Frauen bedeutet zwar eine formale Gleichbe-rechtigung der Frauen, die aber mit Emanzipation, obgleich uns dies suggeriert wird, nichts zu tun hat, da dafür das `Recht' töten zu müssen eingeräumt wird" (MIL 01). Seit 1975 war es in der bundesdeutschen Gesellschaft immer wieder zu Diskussionen um die Öffnung der Bun-deswehr auch für Frauen gekommen, denn der demographische Wandel seit dem 2. Welt-krieg ließ befürchten, dass bald nicht mehr genügend Männer zur Verfügung stehen könnten. Zusätzlich spitzte sich der `Kalte Krieg' zwischen Ost und West zu. Die atomare Aufrüstung und vor allem die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden ließen die Gefahr eines drohenden Krieges im eigenen Land wachsen.

Diese Diskursstränge bündelten sich nicht nur in der Tübinger Frauenfriedensgruppe vor al-lem im Protest gegen den Grundgesetzartikel 12 a Abs. 4. Er war 1969 in das Grundgesetz aufgenommen worden und verpflichtete alle Frauen zwischen 18 und 55 Jahren zu sanitären Hilfsdiensten im Kriegs- und Katastrophenfall. Die Tübinger Gruppe entwickelte aus dieser Beteiligung von Frauen an Krieg und Militär ihre vier hauptsächlichen Arbeitsschwerpunkte: "Ausarbeitung alternativer Verteidigungsmöglichkeiten, [eine] kommentierte Bibliographie zu Frau und Militär, [die] theoretische Erarbeitung des Verhältnisses von Frauen und Militarismus bzw. Patriarchat und Sexismus [und] Öffentlichkeitsarbeit" (MIL 01).

Die Aktionsformen der Gruppe waren vielfältig: Beteiligung mit Infostand und Vortrag an Frie-dens- und Aktionswochen (1980, 1981); Organisation und Durchführung eines landesweiten Frauentreffens der Frauenfriedensgruppen am 12. und 13. September 1981; Delegierten-Teilnahme am Weltfrauenkongress in Prag 1981; Ausstellung "Frauen verweigern den Krieg" (1982) (nicht überliefert); kommentierte Literaturliste zu Frau und Militär, 1984 herausgegeben vom Verein für Friedenspädagogik unter dem Titel: Überlebenskünstlerinnen. Frauenbücher zu Alltagswelt und Krieg, Emanzipation und Frieden (BAF-Bibliothek Standort Krieg/Militär); Teilnahme an Friedenscamp und Menschenkette in Engstingen (1983). Auf Anfrage des Lan-desfrauenrats (LFR) hielten Judith Rauch und Elvira Martin auch ein Referat beim Arbeits-kreis des LFR "AK Frau und Bundeswehr".



Das Material, das den Zeitraum 1979 bis 1984 umfasst, gelangte in zwei Etappen ins BAF-Archiv. Zwei Ordner mit Arbeitsschwerpunkten und mit Dokumenten zum Welfrauenkongress in Prag 1981 (MIL 02, 05, 06) waren wohl Teil des Frauenzentrumsnachlasses und gingen darüber in das BAF-Archiv ein. Die übrigen Papiere zu Selbstverständnis und Kontakten zu anderen Frauenfriedensgruppen in der ganzen Welt (MIL 01, 03, 04) überließ Iris Kronenbitter dem Archiv. Als eine der hauptsächlich Aktiven in den Jahren 1980 und 1981 und eine sys-tematisch Sammelnde bereichert ihr Material den Bestand außerordentlich.

So bietet der Bestand C 1, Frauen gegen Militär, jetzt in sechs Akteneinheiten zu insgesamt 10 cm die ungewöhnlich dichte Überlieferung einer lokalen Gruppe Tübinger Frauen in der Hochzeit der bundesdeutschen Frauen- und Friedensbewegung. Durch öffentliche Positionie-rungen, schriftliche Kontakte in die USA und die UdSSR sowie durch die Organisation des regionalen Frauenfriedenstreffs bildete die Tübinger Gruppe eine produktive Plattform für Netzwerkarbeit. Ein besonderer Glücksfall für die Forschung ist zudem, dass der Arbeitskreis des Landesfrauenrats "Frau und Bundeswehr" nun zweifach dokumentiert ist. Zum einen wurde seine Arbeit ausführlich von der Gruppe "Frauen gegen Militär" ausgewertet. Zum an-deren ist seine Organisation und die interne Diskussion des Arbeitskreises im Bestand des Landesfrauenrat Baden-Württemberg überliefert. Ergänzt werden beider Überlieferungen durch verwandte Betreffe in den Beständen des Tübinger "Anti-Mil-Ak" und des Tübinger Frauenzentrums. Diese multiple Dokumentation bietet nicht nur die Möglichkeit, im BAF-Archiv gleichzeitig `etablierte' und `autonome' Frauengruppen in ihrem Engagement für Frie-den und Abrüstung zu erforschen. Zusätzlich sind erste Kontaktaufnahmen zwischen diesen heterogenen Gruppen dokumentiert, die im gesellschaftlichen Diskurs um `Frau und Militär' zusammenfanden, obwohl sie sich in dieser Zeit noch sehr misstrauisch gegenüberstanden.



Literatur:



- Verein für Friedenspädagogik (Hg.): Über-Lebens-Künstlerinnen. Frauenbücher zu Alltags-gewalt und Krieg, Emanzipation und Frieden. Tübingen 1984 (in der BAF-Bibliothek)



Gesa Ingendahl, Januar 2006
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