Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1994-6-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: EMMA
In: EMMA
Jahr: 1994
Heft: 6
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Mörder aus Lust

Eine Welt ohne Vergewaltiger wäre eine Welt, in der Frauen sich frei, ohne Angst vor Männern bewegen könnten. Daß einige Männer vergewaltigen, reicht als Bedrohung aus, um die Frauen im Zustand fortwährender Einschüchterung zu halten, sich ständig bewußt zu sein, daß das biologische Werkzeug des Mannes etwas Furchtbares ist, das sich urplötzlich in eine Waffe verwandeln kann. Vergewaltigende Männer sind nicht Außenseiter der Gesellschaft, sondern vielmehr männliche Stoßtrupps, terroristische Guerilla im längsten Krieg, den die Welt je gesehen hat, (Susan Brownmiller in "Gegen unseren Willen") Am 22. September, gegen 20.30 Uhr, wurde in Eickelborn bei Lippstadt die Leiche eines kleinen Mädchens gefunden. 300 Meter vom Gelände des "Westfälischen Zentrums für Forensische Psychiatrie" entfernt. Die siebenjährige Anna-Maria war gefesselt, vergewaltigt und erstochen worden - von dem 24jährigen Freigänger Dirk S., der in der Klinik für psychisch kranke Rechtsbrecher untergebracht ist, weil er bereits drei andere Mädchen vergewaltigt und mißhandelt hat (siehe auch Seite 79). Die kleine Anna-Maria würde noch leben, wenn die Gefahr, die von Dirk S. ausging, ernst genommen worden wäre. Doch die, die ihn behandelten, haben vor allem an den Täter gedacht - und nicht an die Opfer.
Der fortschrittliche Strafvollzug ist gegen "Rache" und für "Behandlung"; er geht von der grundsätzlichen Möglichkeit zur Resozialisierung der Täter aus - und das ist gut so. Die fortschrittlichen Medien sehen das nicht anders. In den letzten 25 Jahren haben sie sich vor allem in die Seele der Täter eingefühlt, ihre Kindheit analysiert und nach Erklärungen gesucht - auch das ist gut so. Glaubten wir zunächst. Es dauerte einige Zeit, bis Frauen merkten, daß sie als Opfer nun ganz auf der Strecke bleiben. Denn von der neuen Sensibilität der Medien und der Justiz profitierten auch die Sexualverbrecher: all die Vergewaltiger, Folterer und Frauenmörder, die fast immer Wiederholungstäter sind. Es gibt Männer, die nicht aus Aggression oder Habgier morden - sondern aus Lust. Es sind Männer, die nicht ihresgleichen umbringen, sondern die Anderen, die Schwächeren: Frauen und Kinder. Sind diese Lustmörder verirrte Psychopathen, denen nur gut zugeredet werden muß und die nur ein paar Pillen schlucken müssen, damit alles wieder okay ist? Oder sind Lustmörder eine Minderheit, die die Phantasien einer Mehrheit in die Tat umsetzt und die, einmal die Grenze überschritten, nie mehr zurückgeholt werden können? Sind Lustmörder überhaupt therapierbar? Und hat die (Männer-)Gesellschaft wirklich ein Interesse daran, sie zu resozialisieren? Oder sollen sie eine ewige Gefahr für die potentiellen Opfer bleiben? Ist es ein Zufall, daß die Männergesellschaft gerade diesen Lustmördern soviel Verständnis und Milde entgegenbringt?

Eine "terroristische Guerilla im längsten Krieg, den die Welt je gesehen hat", nämlich im Geschlechterkrieg, nennt Susan Brownmiller die Vergewaltiger. Als "Elitetruppe", als "SS des Patriarchats" bezeichnet Alice Schwarzer die Lustmörder. In einer Männerkultur, "die Sex, Macht und Tod so miteinander verschmilzt, ist der Lustmörder kein Außenseiter", schreiben Deborah Cameron und Elizabeth Frazer in ihrem Buch "Lust am Töten".

Der Lustmörder ist zwar die Ausnahme, aber er ist allgegenwärtig. Nicht nur als Gefahr auf menschenleeren Straßen, in dunklen Hauseingängen und im eigenen Bett, sondern auch als Mythos, der Journalisten und Künstler spätestens seit Jack the Ripper fasziniert und der zur Zeit eine bemerkenswerte Renaissance feiert. Fritz Lang hat ihm 1931 in "M" ein Denkmal gesetzt - beklemmend überzeugend verkörpert von Peter Lorre, dem filmischen Dauer-Lustmörder. Alfred Hitchcock folgte 30 Jahre später mit seinem Kult-Film "Psycho", zu dem er sich von dem realen Massenmörder Ed Beins inspirieren ließ. Auf dessen Farm hatte man Teile von 15 Frauenleichen gefunden.

Andere Vorbilder und Nachahmer sind Jack the Ripper, der 1888 in London sechs Prostituierte verstümmelte. Oder Peter Kürten, der "Sadist von Düsseldorf", den es besonders erregte, wenn aus dem Bauch des Objekts einer Begierde ein Blutstrom quoll. Und Jürgen Bartsch, der sanfte Schlachtergeselle aus Langen-berg bei Wuppertal, der vier kleine Jungen zu Tode folterte. Oder Fritz Honka, der Prostituierten-Mörder aus Hamburg"- Oder Wolfgang Schmidt, die "Bestie von Beelitz". Oder Jack Unterweger, der Held der Wiener Kulturschickeria. Und nicht zuletzt der Schweizer Erich Hauert, der zu lebenslanger Haft verurteilte Frauenmörder und Vergewaltiger. Auch die 20jährige Pasquale Brumann aus Zürich könnte noch leben, hätte Hauert nicht "wegen guter Führung" bereits drei Jahre nach seiner Verurteilung den ersten Hafturlaub bekommen (siehe Seite 81). Der Lustmörder, dieses Damokles- schwert aller Frauen, wird so wenig ernstgenommen, daß er sieben Frauen ermorden kann - und man immer noch nicht bereit ist zu erkennen, daß hier ein Lustmörder tötet. Horst David, der sogenannte "Würger von Regensburg", hat in den Jahren 1975 bis 1993 mindestens sieben Frauen umgebracht, darunter zwei Prostituierte. Er behauptete allen Ernstes, er habe dies "aus Geldnot" getan. Polizei und Presse übernahmen seine Version unhinterfragt. Motiv Frauenhaß? Anscheinend noch nie davon gehört...

Der polizeilichen Kriminalstatistik zufolge wurden 1993 in Deutschland 41 sogenannte "Sexualmorde" bekannt. Für das Bundeskriminalamt ist ein "Sexualmord" ein "Tötungsdelikt, dem ein Verstoß gegen die se- xuelle Selbstbestimmung vorausgegangen ist und das die vorausgegangene Straftat verdecken soll". Will heißen: Ein Lustmörder ist eigentlich ein Vergewaltiger, der sein Opfer umbringt, um eine umbequeme Zeugin loszuwerden. Daß diese Definition falsch ist, müßten eigentlich auch die Experten wissen. Denn der Lustmörder tötet nicht aus Verlegenheit - er tötet aus Lust. Nicht alle Lustmörder vergewaltigen vorher. Bei dem sogenannten "Yorkshire-Ripper" Peter Sutcliffe zum Beispiel wurden nur an einem seiner 13 Opfer Sperma-Spuren gefunden. Aber er stach "lustvoll" auf die Genitalien und die Brüste der Frauen ein: das Messer als Penis-Ersatz. Nur einer der Sutcliffe-Morde wäre von der deutschen Polizei und Justiz als "Sexualmord" definiert worden. Die Statistiken lügen also: Sie spielen die wahre Anzahl der Lustmörder gezielt herunter.
Mit Jürgen Bartsch fing die neue Einfühlsamkeit für die Sexualverbrecher an. Zwischen 1962 und 1966 tötete der Metzgergeselle aus Langenberg bei Wuppertal vier Jungen. Paul Moor, amerikanischer Journalist und Psychonalytiker, der jahrelang mit Bartsch befreundet war und zwei Bücher über ihn schrieb, schildert das Schlachtritual: "Nachdem er einen Knaben in einen leeren ehemaligen Luftschutzbunker gelockt hatte, machte er ihn durch Schläge gefügig, fesselte ihn mit Schinkenschnur, manipulierte seine Genitalien, während er selber manchmal masturbierte, tötete das Kind durch Erwürgen und Erschlagen, schnitt den Leib auf, leerte Bauch und Brusthöhle vollständig und vergrub die Überreste. Die verschiedenen Variationen umfaßten die Zerstückelung der Leichen, Abtrennung von Gliedmaßen, Enthauptung, Kastration, Ausstechung der Augen, Herausschneiden von Fleischstücken aus Gesäß und Schenkeln (an denen er roch) und den vergeblichen Versuch analen Geschlechtsverkehrs."

Die erste Instanz, das Landgericht Wuppertal, betrachtete den Angeklagten 1967 als "voll zurechnungsfähig" und damit "schuldfähig". Jürgen Bartsch wurde zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Die zweite Instanz, das Oberlandesgericht Düsseldorf, hob vier Jahre später diesen Richterspruch auf und verurteilte Bartsch zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren. Der vierfache Kindermörder, der im April 1976 bei einer freiwilligen Kastration starb, wäre kurz darauf wieder auf freiem Fuß gewesen.

Die Düsseldorfer Revisionsrichter hielten Bartsch seine schlechte Kindheit zugute. Seine leibliche, kurz nach seiner Geburt gestorbene Mutter sei "hypersexuell veranlagt" gewesen. Und seine Adoptivmutter sei "sehr hart mit ihm umgegangen", hieß es in der Urteilsbegründung. Das war ein Novum in der deutschen Justizgeschichte.

Neu war auch, daß sich die kritischen Journalistinnen auf die Seite des Mörders schlugen. Die Boulevard-Presse hatte den Täter - wie gewöhnlich - als "Bestie" vorgeführt. Für Berichterstatter wie Gerhard Mauz vom "Spiegel" hingegen war Jürgen Bartsch genauso Opfer wie die "vier Kinder, die ihm zum Opfer fielen": ein "überlebendes, verzweifeltes Opfer". Auch Ulrike Meinhoff ergriff in "konkret" Partei für den armen Angeklagten, ebenso die liberale "Zeit". Eine neue Aera der Prozeßführung und Prozeßberichterstattung hatte begonnen. Unter dem Einfluß der 68er-Revolte fühlten sich von nun an fortschrittliche Juristinnen und Journalistinnen in die Täter ein - vorausgesetzt, es waren Männer.

Ähnlich mild wie das zweite Urteil gegen Bartsch fiel zum Beispiel am 21. November 1976 das gegen Fritz Honka aus: 15 Jahre und Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt. Der gelernte Schlachter Honka hatte vier alternde Prostituierte erdrosselt, verstümmelt und zerlegt. Genau wie bei den Opfern Jack Un-terwegers war keine der Frauen vermißt worden, ihre Leichen(teile) wurden zufällig entdeckt. Doch mit Gertrud Breuer (42), Anna Beuschel (44), Frieda Roblick (58) und Ruth Schult (56) hatte das Gericht kein Mitleid; es bedauerte den Mörder, der "deutliche ältere, mehr oder minder verbrauchte Prostituierte" in seiner Wohnung aufgenommen hatte, die ihn "dann auch noch beschimpft" hätten.

Die Honka-Richter hatten die einfühlsame Argumentation des "Spiegel-Reporters Gerhard Mauz quasi wörtlich übernommen, der schrieb: "Sauberkeit und Ordnung" seien für Honka - der seine Opfer als "schlampig und dreckig" bezeichnet hatte -"hohe Werte". Und: "Die niederdrückende Last seiner Erfahrung mit Frauen hat ihn flachgemacht, was sein Verhältnis zu Frauen angeht. Er suchte die Partnerin, den Austausch, ene Hilfe, die alllein das Gespräch zwischen den geschlechtern geben kann."

Früher wurde behauptet, daß der Trieb den "Triebtäter" treibt (wo sitzt er eigentlich - der Trieb?). Heute ist für Psychoanalytiker das Versagen der Mutter ausschlaggebend. "Von dem Ausmaß, in dem die Mutter sich mit intensiver Bezogenheit und Empathie dem Kind zur Verfügung stellt", schreibt der Sexualwissenschaftler und Sexualstraftäter-Experte Eberhard Schorsch, "hängt ab, ob und inwieweit die ursprüngliche Destruktivität entschärft und in soziale Antriebe umgeformt werden kann". Angeblich wird der Sexualverbrecher vom Haß au die versagende Mutter getrieben. Auch im Fall des "Würgers von Boston", der es - zunächst - ausschließlich auf alte Frauen abgesehen hatte, schien es so zu sein. Die Polizei bat bei ihren Ermittlungen ein Team aus Psychologen und Ärzten um Hilfe. Die bastelten ein sogenanntes "Täterprofil". Danach war der Würger ein "ordentlicher, pünktlicher und unauffällig gekleideter Mann" in mittleren Jahren, "impotent, homosexuell" und voller Haß auf seine "freundliche, ordentliche, saubere, zwanghafte, verführerische, strafende, übermächtige Mutter". Als der Würger anfing, auch junge Frauen zu töten, waren die Berater der Polizei ratlos. Und als Albert deSalvo schließlich die Frauenmorde gestand, behaupteten die Psychiater, daß er unmöglich der Würger sein könne: Das Täterprofil traf auf ihn nicht zu! Der Ex-Soldat und Amateur-Boxer war Anfang 30, weder impotent noch homosexuell, er war unordentlich, unpünktlich und vor allem - er haßte seinen Vater. Dieser hatte der vermeintlich "übermächtigen" Mutter jeden Finger einzeln gebrochen und ihr sämtliche Zähne ausgeschlagen. Auch Peter Sutcliffe, der sogenannt "Yorkshire-Ripper", hing an seiner Mutter und haßte seinen Vater. Der alte Sutcliffe hatte seine Frau gedemütigt, betrogen und regelmäßig zusammengeschlagen - vor den Augen der Kinder. Auf die Idee, daß der Sohn die Frauenverachtung beim Vater gelernt haben könnte, kamen die psychiatrischen Gutachter nicht Die internationale Ratlosigkeit der Psychiater - oder sollte es treffender "Verschleierung" heißen? - steht im krassen Mißverhältnis zu der Macht, die sie vor allem in Deutschland als Gutachter haben. Sie sind es, die für das Gericht diagnostizieren, ob bei der Tat der strafverschärfende niedere Beweggrund "aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs" vorlag. Meist vermeiden sie diese Diagnose, da "aus psychiatrischer Sicht der Zusammenhang zwischen Tötung und sexueller Erregung bezweifelt wird", weiß die Wiesbadener Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller aus Erfahrung.

Selten werden Lustmörder von deutschen Gerichten auch als solche verurteilt und entsprechend behandelt. Geschieht es aber doch, muß der psychologische Gutachter eine sogenannte "Prognose" wagen. Er muß voraussagen, ob von dem psychisch gestörten Täter weitere "rechtswidrige Taten zu erwarten" sind. Nur wenn das "sicher festgestellt" wird, besteht die Möglichkeit, ihn in den sogenannten "Maßregelvollzug" einzuweisen; das heißt: in eine psychiatrische Anstalt mit forensischer Abteilung. Der Aufenthalt dort ist unbefristet. "Wegen der unangenehme Länge", gesteht der Psychiater und Gutachter Wilfried Rasch, "ist man im Strafverfahren oft bemüht, einem Täter trotz offensichtlicher Gestörtheit die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu ersparen". Glück für den Täter - Pech für die Opfer. Die Unterbringung in der Psychiatrie bzw. im "Maßregelvollzug" kann von einem Gericht beendet werden, sobald es psychiatrische Gutachter empfehlen. Rasch kritisiert, daß in diesen Gutachten vor allem die "Bereitschaft" des Täters, "mit dem Personal zu kooperieren" zum Tragen kommt. Wiederum Pech für die Opfer, denn Lustmörder ordnen sich in autoritären Institutionen wie Gefängnissen und psychiatrischen Anstalten besonders gut unter. Durch den Fall Hauert ist in der Schweiz das "Dogma der Resozialisierung" in die Kritik geraten (siehe Seite 81). In der Bundesrepublik war das bislang kein Thema. Das deutsche Bundesjustizministerium sah bis vor kurzem noch "keinen Handlungsbedarf". Ob der jetzt da ist, nach der Ermordung der kleinen Anna-Maria in Eickelborn? Das Schweizer Modell könnte dabei hilfreich sein. Der Züricher Justizdirektor Moritz Leuenberger findet: "Bei der Frage von Schuld und Unschuld hat der Angeklagte das Recht, daß im Zweifel zu seinen Gunsten entschieden wird. Bei der Frage der Rückfälligkeit oder Gefährlichkeit eines Täters hat die Öffentlichkeit den Anspruch, daß im Zweifel für ihre Sicherheit entschieden wird. Nicht Verschärfung der Vollzugspraxis für alle, sondern Sonderbehandlung für eine Minderheit, heißt die Devise in der Schweiz. Es geht dabei um sexuelle Gewalttäter, die unter einem Wiederholungszwang handeln, die immer wieder vergewaltigen und irgendwann auch töten. Um Männer, die - wenn sie erst einmal lustvoll gemordet haben - vermutlich erneut morden werden. Es geht um die, bei denen auch die beste Therapie nichts mehr nützt. Es geht um Schutz für die potentiellen Opfer - das heißt: um einen lebenslangen Freiheitsentzug für diejenigen, die mit großer Wahrscheinlichkeit weder therapierbar noch resozialisierbar sind.

Es gilt heute als reaktionär, die Therapie- und Resozialisierungfähigkeit überhaupt anzuzweifeln. Wer das tut, wird automatisch in eine Ecke mit den Kopf-Ab-Rufern gestellt. Deshalb will der deutsche Sexualstraftäter-Experte nicht namentlich zitiert werden, der Emma sagte: "Ich kenne Fälle, wo 300 Einzelstunden Psychotherapie einen weiteren Mord nicht verhindert haben. Ich halte diese Täter für tickende Zeitbomben." Deborah Cameron und Elizabeth Taylor gehen in ihrem Buch "Lust am Töten" den Fragen nach: "Was ist der Zusammenhang zwischen Mord und Erotik? Was ist der Unterschied zwischen 'normalen' Männern und Mördern?" Für die Autorinnen steht fest, daß die Rituale der Verstümmelung keinesfalls eine quasi-natürliche Entladung sind, wie es das Wort "Trieb" suggeriert, sondern kulturell geprägte Obsessionen. "Welche Bestrebungen und Vergnügungen verfügbar, welche Praktiken, Identitäten und Träume auch nur denkbar sind", schreiben die beiden Engländerinnen, "wird in großem Maße von der Kultur bestimmt. Unser Kultur hat gewalttätige, pornographische Träume, sie strebt nach (männlicher) Freiheit und Transzendenz. Nicht zufällig existiert in ihr der sadistische Lustmord."

Prägend für das "kulturelle Muster", in dem sich die heutigen Lustmörder bewegen, ist der Marquis de Sade (1740-1814). Er formulierte die Philosophie, derzufolge Demütigung, Erniedrigung, Beherrschung, Folter und Mord die Lust auf den Gipfel treiben. Nicht nur zu einem sexuellen Höhepunkt, sondern zu einem existentiellen Höhepunkt: Herr sein über Leben und Tod. Der Rebell schlechthin, der alle Gesetze hinter sich läßt - politische, soziale und religiöse. "Oh! Welche Tat ist so wollüstig wie die Zerstörung", heißt es bei de Sade: "Keine Ekstase gleicht derjenigen, die wir erfahren, wenn wir uns dieser göttlichen Infamie hingeben."

Damit demokratisierte der adelige Marquis an der Schwelle zur Französischen Revolution das Recht zu töten für jedermann. Betonung auf Mann. Durfte bisher der Geburtsadelige ungestraft das Volk niedermetzeln, so sollte nun der neue bürgerliche Adel - das Männervolk lustvoll und ungestraft die Untermenschen der Moderne morden dürfen: das Frauenvolk.

Und die Moderne ließ sich nicht lange bitten. Es ist wohl kein Zufall, daß die Lustmörder-Modewelle immer dann besonders hoch schwappt, wenn die Männergesellschaft durch das Begehren der Frauen nach Emanzipation erschüttert wird. Das gilt für das Ende des 19. Jahrhunderts und seine Jack the Rippers ebenso wie für die Peter Kürtens der 20er Jahre und für den gegenwärtigen Jack-Unterweger-Kult mit seinem gewalttätigen Zuhälter-Charme.

In den 20ern war der Lustmörder in Deutschland das In-Thema der Avantgarde-Künstler. Ein George Grosz malte 1918, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, ein Bild mit dem Titel "John, der Frauenmörder". Und Paul Klee hatte bereits 1913 einen verstümmelten Frauenkörper mit dem orgiastischen Titel "Du Starker, o - oh oh du!" versehen. Fritz Längs mythischer "M" entstand 1931. Die neue Frauenbewegung löste ein geradezu überschwengliches Feier der "Lust am Töten" aus. Zunächst in USA und dann auch bei uns. Mitte der 70er Jahre tauchte in den Staaten ein neuer Lustmörder-Typus auf: der Serienkiller. Wie ein Desperado zieht er vergewaltigend und mordend durchs Land. Nicht mit fünf oder zehn Frauen befriedigt er sich, sondern 36 müssen es sein, wie bei Ted Bundy, der zur Zeit gefragteste Star bei den beliebten US-Sammelbildchen. Oder 360 wie bei Henry Lee Lucas, der mit 14 Jahren seinen ersten Geschlechtsverkehr hatte und dabei sein erstes Mädchen killte. "Die ziellosen Odysseen lassen an nichts so sehr denken", heißt es in "Lust am Töten", "wie an die 'Road' Erzählungen der Beatnik-Generation." Autoren wie Kerouac, Ginsberg und Bukowski "verherrlichen einen maskulinen Heros der sexuellen Eroberung und willkürlichen Gewalt". Der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer bewundert an den "Beatniks" oder "Hipsters", daß sie "am Rande des Todes leben". In dieser Randexistenz ohne Moral kann - so Mailer - nur ein Orgasmus die wahre Befriedigung bringen, und zwar einer, der "noch apokalyptischer" ist "als der vorausgegangene". Von einem solchen schwärmt Mailer in "Barbary Shore": "Er nannte verschiedene Teile ihres Körpers und beschrieb, wie er dies aufreißen und jenes drücken würde, hier essen und da ausspucken, wild drauflosmetzgern und fein schneiden, aufschlitzen, kasteien und herausreißen würde..." Von einem Todes-Orgasmus träumten auch die "Rolling Stones", als sie Ende der - wiederum frauenbewegten - 60er Jahre in ihrem Song "Midnight Rambler" den "Würger von Boston" feierten. Bei Konzerten schlich Mick Jagger, in blutrotes Licht getaucht, auf der Bühne umher wie "eine schmalhüftige, multisexuelle Reinkarnation von Jack the Ripper". Mitte der 80er dann machte der Österreicher Falco mit "Jeanny" den Lustmord auch auf Deutsch zum Hit, im Disko-Sound.

Der Frauenmörder als Held - in der Wirklichkeit und in der Phantasie. Auf dem realen Schlachtfeld des Geschlechterkrieges, wo die Frauenleichen stinkend verwesen. Und auf der Leinwand des Malers, wo sie dekorativ verwesen. Die Verstümmelungsrituale, die der Lustmörder dem Schlachter abgeschaut hat, werden vom Künstler übernommen und umgekehrt.

Der Vergewaltiger ist eine gefährliche Waffe in dem Krieg, den Männer gegen Frauen führen, der Lustmörder ist die definitive: Vor ihm müssen alle Frauen in die Knie - auch die emanzipiertesten. Der Lustmörder ist die wahre Geheimwaffe des Patriarchats. Er fällt unter das Geheimhaltungsgebot Nummer l - und alle machen mit: die Boulevard-Presse, indem sie den Lustmörder zur Ausnahme-Bestie stilisiert; liberale Journalistinnen und Juristlnnen, indem sie seine Taten mit seiner Herkunft entschuldigen; Psychiater, indem sie ihn für krank und damit für heilbar erklären; Künstler, indem sie ihn als Rebellen feiern und - Frauen, indem sie Mitleid mit ihm haben.
Gesamten Bestand von FrauenMediaTurm anzeigen

Kontext

wird geladen...

Standort

Frauenmediaturm – Feministisches Archiv und Bibliothek

Bayenturm / Rheinauhafen
50678 Köln
Telefon: +49 (0)221 931 88 10
Öffnungszeiten
Mo-Fr. 10-17 Uhr, nach Voranmeldung. Die Anmeldung kann telefonisch, per Mail oder über das Kontaktformular erfolgen. Die Einrichtung ist nicht barrierefrei

Ich stimme der Nutzung von Google Maps zu.

Ähnliche Einträge