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Die bengalische Löwin : Taslima Nasrin scheut nicht Tod noch Teufel ; Fundamentalisten wollen sie ermorden, doch sie kämpft weiter für die Würde der Frauen in Bangladesch

Verfasst von: EMMA
in: EMMA
1994 , Heft: 4 , 94-97 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1994-4-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: EMMA
In: EMMA
Jahr: 1994
Heft: 4
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Taslima Nasrin scheut nicht Tod noch Teufel. Fundamentalisten wollen sie ermorden, doch sie kämpft weiter für die Würde der Frauen in Bangladesch.

Sie ist die einzige Frau in der Männerrunde. Inmitten des tristen Graus der Herrenanzüge leuchtet ihr pinkfarbener Sari provokant. Die Gynäkologin Taslima Nasrin ist 31; aber sie sieht jünger aus, mädchenhaftzart. Doch sie ist weder zart noch mädchenhaft. Sie ist eine starke Frau mit dem Mut einer Löwin und der Kraft eines Elefanten. Taslima Nasrin ist die einzige Frau, die in ihrem Heimatland Bangladesch ihre Stimme laut gegen die Fundamentalisten erhebt und ihre Schwestern auffordert, um ihre Ehre, ihre Würde und ihr Leben zu kämpfen. Bei "Arte" geht es an diesem Abend im Mai um Journalistinnen, die für die Pressefreiheit ihr Leben riskieren. Zwei in der Runde werden von islamischen Fundamentalisten bedroht, einer ist der Chefredakteur von "El Watan" ("Die Wahrheit") aus Algier. Die andere ist die Ärztin aus Bangladesch, die nebenbei Bücher und Zeitungskolumnen schreibt und weltweit der "weibliche Salman Rushdie" genannt wird. Gegen den in England lebenden Inder verhängte Ayatollah Khomeini 1989 wegen des angeblich "blasphemischen" Buchs "Die Satanischen Verse" das Todesurteil - die "fatwa". Zur Ermordung Taslima Nasrins rief im Herbst 1993 der bengalische "Rat der Soldaten des Islam" auf. Anlaß: ihr Roman "Lajja" (Schande).

Nasrin hackte das 70 Seiten dünne Bändchen in sieben Tagen in die Maschine, nachdem fanatische Hindus in Indien eine muslimische Moschee niedergebrannt hatten. In Indien sind die Moslems in der Minderheit, in Bangladesch stellen sie die Mehrheit. In Nasrins Roman "Schande" geht es um eine diskriminierte hinduistische Lehrer-Familie und der bengalischen Hauptstadt Dakha: Nach dem Überfall auf die indische Moschee richtet sich die Rache der bengalischen Moslems gegen die Tochter des Lehrers; zuerst vergewaltigen die Fundamentalisten das Mädchen, dann töten sie es.

Taslima Nasrin weiß aus eigener Erfahrung: "Wenn Männer zu Fanatikern werden, geht es immer zuerst gegen die Frauen. Sie stülpen ihnen den Tschador über, um ihre eigene Blöße zu verbergen, und sie fordern, daß sie sich strikt an all die Regeln zu halten habe, die Männer so leicht und gerne brechen." Nasrins Buch wurde ein Bestseller: nach wenigen Tagen waren 50.000 Exemplare verkauft. Vor allem junge Frauen in Bangladesch begeistern sich für die Schriften der gelernten Gynäkologin. Die Regierung reagierte rasch und verbot das Buch. "Einige Passagen in dem Roman verletzten die religiösen Gefühle von vielen", begründete ein Sprecher des Außenministeriums gegenüber "Time" die Zensur. Aber dabei blieb es nicht, aus der geistigen Gewalt soll nun auch noch physische Gewalt werden. Die muslimischen "Soldaten", die im Namen Allahs Menschen ermorden, setzten ein Kopfgeld von rund 2.000 Mark auf Taslima Nasrin aus - im bitterarmen Bangladesch ein wahres Vermögen. Am 1. Oktober 1993 zogen 10.000 Menschen durch die Straßen von Dakha und Sylhet; sie skandierten: "Hängt sie auf! Hängt sie auf!" und "Verbrennt ihre Bücher!" Im Dezember versammelte sich eine aufgebrachte Männermenge vor dem Apartmenthochaus, in dessen zehnten Stock die Gynäkologin seit Monaten wie eine Gefangene lebt, ohne ihren Beruf ausüben zu können. Die Eiferer unten auf der Straße schrien: "Brecht ihr die Beine! Brecht ihr die Beine!" - so laut, daß es bis in Nasrins Gefängnis hinaufdrang. Taslima Nasrin wurde unter Polizeischutz gestellt - allerdings erst nach Intervention von amnesty international (ai) und dem internationalen Schriftstellerverband PEN. "Sicher bin ich trotzdem nicht", klagte die Schriftstellerin Anfang Mai in "Arte". Und daran ändert auch die Tatsache nichts, daß Bangladesch seit 1991 von einer Frau regiert wird. Die Minderheitsregierung unter Premierministerin Begum Khale-da Zia ist auf die Unterstützung der Fundamentalisten im Parlament angewiesen. Um es den Fundis recht zu machen, wurde Taslima Nasrins Buch verboten und seiner Autorin zeitweilig sogar der Paß abgenommen. Dabei will die kleine Frau mit dem großen Mut ohnehin nicht fliehen: "Ich beantrage kein Asyl in einem fremden Land. Ich bleibe und schreibe weiter." Der Skandal ist, daß eine Frau öffentlich Kritik am Islam übt und gegen die Unterdrückung von Frauen zu Felde zieht, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. 14 Bücher tragen Nasrins Namen. Ihre Themen kreisen nahezu aus-' schließlich um Frauen: weibliche Sexualität und weiblicher Orgasmus, Vergewaltigung und Gewalt in der Ehe, "Femizid an weiblichen Säuglingen, Vielehe, Schleierzwang, Ausschluß der Frauen aus der Öffentlichkeit sowie die Frauenfeindlichkeit des Koran und der islamischen Gesetzbücher: "Das Verhältnis von Mann und Frau in den islamischen Schriften ist eines von Herr und Sklavin."

Die Bengalin scheut sich nicht, über die muslimischen Fundamentalisten zu schreiben: "Sie wollen die Frauen zu Gefangenen machen. Sie legen sie in Ketten." Und über patriarchale Kapitalisten: "Der Kapitalismus macht die Frauen zu Waren, wandelt sie in Konsumgüter um und kettet sie ebenfalls an. Woher stammt die Kraft, die hinter dem Satz steht: "Ich will überhaupt keine Ketten - weder die einen noch die anderen"? Über Taslima Nasrin ist wenig bekannt. Sie spricht kaum Englisch und gibt selten Interviews. Ihre Bücher wurden bislang nicht übersetzt; doch demnächst soll in England ein Gedichtband erscheinen. Bekannt ist lediglich, daß die bengalische Feministin aus dem ländlichen Norden stammt, aus der Kleinstadt Mymensingh, 90 Kilometer nördlich von Dakha. Zu schreiben hat sie mit 15 begonnen, weiß "Time": "Ihre feministischen Themen entwickelte sie während ihrer Studienjahre." In den meisten Texten aus jener Zeit spiegle sich ihr "Zorn über die Bevorzugung ihrer Brüder", über Männerrechte, die Frauen verweigert werden. Die FAZ schreibt: "Als sie 1984 ihren medizinischen Grad erworben hatte, stellte sie fest, daß sie ihr Boß nicht als Ärztin, sondern als Frau behandelte. Als sie protestierte, wurde sie in ein abgelegenes Dorf versetzt." Seither ergreift Nasrin Partei für Frauen, und sie durchschaut die Tricks der Männer. In einer von Nasrins Zeitungskolumnen heißt es: "Es gibt einige Ignoranten, die sagen: Frauen selber seien ja die Feinde der Frauen, weil die Schwiegermütter Spaß am Tyrannisieren ihrer Schwiegertöchter haben. Aber jede Frau ist Opfer der patriarchalen Gesellschaft. Als die Schwiegermutter selbst Schwiegertochter war, erlitt sie dasselbe Schicksal." Zwar ist in Bangladesch der Islam seit 1988 Staatsreligion, doch bislang galt das Land nicht als fundamentalistische Hochburg. Rechtlos waren Frauen trotzdem. Das offizielle Erbrecht beispielsweise regelt, daß Söhne drei Viertel des elterlichen Besitzes bekommen und Töchter nur ein Viertel. Frauen dürfen sich den Ehemann nicht selbst aussuchen. So war es immer, doch die Lage spitzt sich zu. Die Regierung erließ im vergangenen Jahr Bekleidungsvorschriften für Frauen: Ein "Sari" hat seitdem 1,22 Meter breit und 5,54 Meter lang zu sein, damit "religiöse und soziale Werte gewahrt" werden. Amnesty international berichtet, daß bei Frauen zunehmend islamisches Recht angewandt wird.

Im April 1992 wurden die 14jährige Shefali und ihre Mutter von einem so- genannten "Dorfschiedsgericht" oder "salish" zu je 100 Stockschlägen verurteilt. Das Mädchen Shefali war von einem Dorfältesten vergewaltigt und davon schwanger geworden. Der Täter war Mitglied des "salish" und somit ihr Richter. Shefali verlor; sie konnte ihre Vergewaltigung nicht "nachweisen". Das kann keine Frau nach islamischem Recht ("scharia"), denn sie braucht vier erwachsene muslimische Männer mit gutem Leumund, die den Gewaltakt bezeugen. Das Gericht bestrafte die Mutter gleich mit, die sich auf die Seite der Tochter gestellt und den Dorfältesten beschuldigt hatte, ai berichtet von einem zweiten Fall: Am 10. Januar 1993 wurde eine junge Frau namens Noorjahan Begum im Dorf Chatakchara zum Tod durch öffentliche Steinigung verurteilt, weil sie nach einer Scheidung einen anderen Mann geheiratet hatte.

Würde die "scharia" auf Taslima Nas-rin angewandt, wäre sie schon zweimal gesteinigt worden, weil sie zweimal verheiratet war - mit einem Dichter und einem Journalisten - und sich zweimal scheiden ließ. "Ein dämonischer Mann hat Besitz von meinem Leben ergriffen. Er benutzt meinen Körper, wann immer er will", heißt es in ihrem Gedicht "Hochzeit" von 1987. Taslima Nasrin ist sich sicher, daß die dämonischen Männer sie "eines Tages im Namen Gottes töten" werden. Aber von ihnen beherrschen läßt sie sich nicht. Ohne Angst sagt sie ihnen schlicht ins geifernde Gesicht: "Ich bin stolz, daß ich eine Frau bin."

Kurz vor Redaktionsschluß erreichte uns die Nachricht, daß gegen Taslima Nasrin Haftbefehl erlassen worden ist. Sie ist untergetaucht und wird von der bengalischen Polizei gejagt (Stand 6. Juni). Der Grund: Die Feministin hatte in einem Interview mit der indischen Zeitung "Statement" den Koran kritisiert und gesagt: "Fortschrittliche Männer und Frauen sollten nicht religiös sein.

Diese (gekürzten) Texte stammen aus Nasrins Kolumnen-Sammlung

"Nirbachito Kolam" (Ananda Publishers, Kalkutta 1992).

Keine Menschen
Denk nicht an sie! Sie sind doch keine Menschen, sie sind Männer. Sie werden nachmittags heimlich deinen Tee vergiften. In dunklen Neumondnächten werden sie dich aufhängen an dem Ast des Mangobaumes, an der Zimmerdecke, an den Haken. Einer nach dem anderen werden sie dich vergewaltigen, hei der Kapurchbrücke werden sie deine Brust durchstoßen, aus dem fahrenden Zug werden sie dich werfen, deine Kehle werden sie mit scharfer Klinge durchschneiden, deinen Körper werden sie mit Benzin übergießen und anzünden. Sie sind keine Menschen, sie sind Männer. In Jerusalem, auf dem Himalaya, auf dem Heraberg haben sie Religionen verkündet. Sie haben diese Religionen beilig genannt. Im Namen dieser Heiligkeit haben sie dich in den Schlamm gestoßen. Sie gewähren dir einen Platz zu ihren Füßen, sie schicken dich in die Küche, sie schmücken dich, sie nehmen dich mit ins Bett, und wenn sie wollen, vertreiben sie dich wieder daraus. Sie verkleiden dich, und wenn sie wollen, entkleiden sie dich. Sie treten dich, sie verlassen dich. Sie sind doch keine Menschen, sie sind Männer.

Lebe, Frau! Atme tief die frische Luft. Dieser Himmel ist deiner, die Sterne am Himmel sind deine. Diese Palmen, dieser Fluß, die Hecken, der Wald sind dein, die Wolken, das Wasser, die Luft. Dieser Boden, das Gras, die Blume, der Vogel, das Meer ist dein.

Sie bedeuteten dir nichts, aber sie werden dich verschlingen, sie werden dich in tausend Stücke reißen. Sie werden dich zerschmettern. Ja, weil sie keine Menschen sind, sie sind Männer. Du liegst auf dem Boden, Frau, dein ganzer Körper von Männern zerbissen, Hunde winseln, wenn sie dich riechen, die Geier ziehen ihrer Krallen ein, wenn sie dich sehen. Wenn noch jemand dich beißt, es ist kein Schwein, keine Schlange, es ist ein Mann.

Steh auf, Frau! Steh auf, erhobenen Hauptes! Geh voran! Dieser Weg ist deiner. Die Felder sind deine. Die Ernte ist dein, die Feldraine sind dein. Bis zum Horizont, alles, was du siehts, gehört dir.
Privatprobleme
Ich war damals 18 oder 19. Das Mittagsprogramm der Kinos in der Stadt Mymensingh war gerade aus. Die Rikshaws warteten. Ich setzte mich in eine. Wegen des Gedränges mußte sie während der Fahrt immer wieder kurz anhalten. Da spürte ich plötzlich einen starken Schmerz an meinem rechten Arm. Ein Junge von ungefähr zwölf Jahren drückte eine Zigarette auf meine Haut. Ich kannte ihn nicht. Er ging lachend weiter, während ich mich vor Schmerzen krümmte. Am rechten Arm habe ich noch heute die Narbe; ich trage sie als Zeichen der damaligen Erniedrigung. Was soll ich den ungebildeten Jungen dafür beschuldigen, wo doch auch die Gebildeten nicht unschuldig sind? Hunderte von Händen lauern in der Menge, um Brüste und Hüften zu betasten. Nicht alle gehören den Armen, das weiß ich. Ich hin froh, daß mich bis jetzt niemand mit Säure überschüttet hat. Es ist ein Glück, daß ich bislang von keiner Männerhorde vergewaltigt wurde. Es ist mein Glück, daß ich noch am Leben bin. Und warum muß ich Angst vor solchen Gewalttaten haben? Was ist mein Vergehen? Ich bin eine Frau. Weder meine Erziehung noch meine Begabung verleihen mir das Recht, ein Mensch zu sein. In diesem Land gibt es nichts, das aus einer Frau einen Menschen machen könnte. Viele Bürger der Oberschicht - aufgeklärte, kultivierte Leute - würden das Anbrennen meines Arms mit der Glut einer Zigarette als mein privates oder mein .persönliches" Problem werten. Durch das Wort .persönlich" lehnen sie jede Verantwortung ab. Doch nicht nur ich allein, alle jungen Frauen, die den Fuß vor die Haustür setzen, sind darauf vorbereitet, auf der Straße schweigend jeden obszönen Kommentar zu ertragen. Jede Frau weiß, daß ein unbekannter Jugendlicher, der ihr einenen Mundvoll "Pan" (Betelnußbrei) auf die Bluse spuckt, sie mit einem strahlenden Lächeln bedenken und ungehindert davonlaufen wird. Jede ist auf jede Art von Gewalt vorbereitet: auf Säureattentate, Straßenraub, Entführung, Vergewaltigung. Mord und so fort. Nicht selten geschieht es, daß beim Betreten der Straße von irgendwo her zwei, drei Steine auf die Frau zufliegen. Gerade vor zwei Monaten ist in dieser Stadt eine Heranwachsende, die auf einer Rickshaw saß, beinahe verbrannt, weil jemand eine Zigarette nach ihr warf und sich ihre Kleider entzündeten. Halbnackt kehrte sie nach Hause zurück, und die Stadt amüsierte sich köstlich. Einst lebten die Menschen in Höhlen und begruben ihre weiblichen Nachkommen bei lebendigem Leibe. Seitdem ist viel Zeit vergangen; aber die Menschlichkeit hat keine Fortschritte gemacht. Übersetzung aus dem Indischen: Hans Harder
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