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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1984-8-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Scheu, Ursula
In: EMMA
Jahr: 1984
Heft: 8
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Die frühen Feministinnen:

Vorläuferinnen von Marx und Freud

Sie erkannten vor Freud die Zusammenhänge zwischen Sexualität und Seele. Sie erkannten vor Marx, daß das Sein das Bewußtsein bestimmt. - Sie forderten die Abschaffung der Ehe und die Kollektivierung der Hausarbeit. Sie forderten gleiche Rechte und Selbstbestimmung für Frauen.- Ihre Gegner waren nicht nur Kapitalisten und konservative Frauen. Ihre Gegner waren auch Sozialisten und reformistische Feministinnen. Sie beweisen uns, daß wir aus der Geschichte lernen können und müssen:
im guten wie bösen.
Als Sigmund Freud auf die Zusammenhänge zwischen Sexualität und Persönlichkeitsstruktur hinwies, entfachte er einen Skandal. Wieviel skandalöser waren die Frauen, die noch Jahrzehnte vor ihm entdeckten, daß die Unterdrückung der Frau, die Deformierung ihrer Persön-lichkeit mit der Unterdrückung und Deformierung ihrer Sexualität zusammenhängen! Diese Frauen waren die ersten radikalen Feministinnen und sie beschränkten sich nicht damit, dies zu erkennen, sie schrieen es auch laut in die Welt hinaus. Der Haß, die Verachtung und Diffamierung, die sie dafür ernteten, waren ohneglei-chen. Doch sie waren nicht bereit, zurückzustecken. Louise Dittmar, eine von ih-nen, erklärte bereits 1849 in aller Radikalität und Deut-lichkeit: Aus der "Entziehung der Liebe" einerseits und dem "Zwang zur Liebe" anderereits entstehen für Frauen "die schlimmsten Übel", dies sei "die Ursache vieler geistiger und körperlicher Störungen."
Louise Dittmar forderte, zusammen mit anderen Radi-kal-Feministinnen, "eine freie und gleiche" sexuelle Erziehung für Mädchen und Jungen; die freie Verfügung der Frau über ihren eigenen Körper; sie forderte das Recht der Frau auf eine selbstbestimmte Sexualität, auch ohne Ehe. Das, was wir "größeres Liebesbedürfnis (...) Sitte, Anstand und Moral" nennen, ist nur Ausdruck dessen, daß "vorzugsweise bei Frauen" sexuelles "Verlan-gen durch eine naturwidrige Erziehung, durch moralische Daumenschrauben und durch raffinierteste Austötungsmaxime unterdrückt, geschwächt ist" (Dittmar).
Nachdem sie nicht gescheut hatten, sich in alle Bereiche des Lebens und der Macht zu
mischen (siehe auch emma 12/83 und 1/84) wagten die radikalen Feministinnen der ersten Frauenbewegung nun auch den Angriff auf die Hochburg der Männermacht: auf die sexuelle Vorherrschaft. Und damit gleichzeitig auf. die Behauptung eines "natürlichen" sexuellen "Unterschieds" zwischen Mann und Frau. Zur Ideologie vom "Unterschied" schrieb Louise Dittmar damals: "Diese Behauptung geht von der Ansicht und dem Bestreben aus, das Weib dem Manne unterzuordnen und alle bezüglich des Weibes bestehenden Rechts- und Sittenzustände zu rechtfertigen." Dittmar und ihre Mitkämpferinnen entlarven im Gerede vom Unterschied das zentrale ideologische Fundament, auf dem die Männergesellschaft alle anderen "natürlichen Unter-schiede" aufbaut. Dittmar: "Die Nichtachtung des Wei bes, ihre gesellschaftliche Unterdrückung hängt aufs engste zusammen mit der Nichtachtung und Unterdrückung der Sinne." - Eine Erkenntnis, die auch den Kampf der radikalen Feministinnen um die Jahrhundertwende und in unserer Zeit entscheidend prägte.
Sexualität und Liebe entlarvten auch diese frühen Feministinnen schon als Angelpunkt im Netz der Frauenfesseln. In ihrem kompromißlosen Kampf schreckten die Radikalfeministinnen nicht vor einem Angriff auf "das Heiligtum" Ehe zurück. Luise Aston 1846: "Ich verwerfe die Ehe, weil sie zum Eigentum macht, was nimmer mehr Eigentum sein kann: die freie Persönlichkeit; weil sie ein Recht auf Liebe gibt, auf die es keine Rechte geben kann." Für Louise Dittmar ist die Ehe gar eine "staatliche Kloake", ein Ort tiefer Entwürdigung und Entmenschlichung von Frauen. Denn die "Zwangsanstalt der Staatsehe" verweigert der Frau jedes Recht einer freien Persönlichkeit: das Recht an der eigenen Arbeitskraft, am eigenen Geist, an der eigenen Seele, am eigenen Körper. Die Gesetze betrachten die Frau als "Handelsware", die bei der Eheschließung in den alleinigen Besitz und Nutzen des Ehemanns übergeht. Sie verwandelt das Wunschdenken der Männer von ihrer Herrschaft über Frauen in grausame Realität und Pflicht. Der Mann herrscht, sie gehorcht. - Und darin sollen Frauen ihre höchste Entfaltung, ihr höchstes Glück finden? Die Behauptung, "die Liebe sei dem Weibe ein tieferes Bedürfnis als dem Mann" ist reinster Hohn, schreibt Louise Dittmar, denn sie ist "einzig und allein das Monopol des Mannes." Ida Gräfin Hahn-Hahn bekennt: "Ich kam mir selbst unmenschlich entwürdigt vor durch die Leidenschaft, die ich erregte, ohne sie zu teilen, und das Geschöpf, welches der Mann mit dem Fuß vom Sofa auf die Straße schleuderte, schien mir weniger erniedrigt, als ich mich fühlte. Denn es steht außer dem Gesetz, denn es macht keinen Anspruch auf Ehre; (...) ich sah mich plötzlich in der Gewalt eines Menschen, dessen furchtbares Rechtüber mich dadurch geheiligt sein sollte, daß er in einer Kirche vor vielen Zeugen gelobt hatte, es immer zu üben." Die Radikalen forderten die sofortige Abschaffung der "ehelichen Pflichten" und aller Gesetze, die die Frau in der Ehe dem Manne gegenüber benachteiligen. Sie lehnten jede "Einmischung des Staates in die Schließung und Trennung der Ehe ab" (Dittmar). Sie verurteilten den Zwang der Frau zur Treue und forderten leichtere
Scheidungsmöglichkeiten. "Gleich und gleich: so müssen sich die Geschlechter gegenüberstehen." (Ida Gräfin Hahn-Hahn).
Zwangsläufig ergab sich daraus der Kampf der Radikal-Feministinnen gegen jede Idealisierung von "Weiblichkeit" oder "Andersartigkeit" der Frau, gegen jede Propagierung eines spezifisch weiblichen Lebens und Glücks. Auch diese Kampfansage an eine "Natur der Frau" charakterisiert bis heute den Radikalfeminismus. Früher klang das oft noch radikaler, konsequenter als heute: "Das Weib ist mit denselben Fähigkeiten, derselben Geisteskraft und Energie von der Natur ausgerüstet." (Luise Mühlbach 1844). - "Die Wahrheiten der Vergangenheit sind nur dazu da, um sie zu bekämpfen." (Louise Dittmar 1849). - "O, unsere Herren und Gebieter sind höflicher geworden. Jetzt sind wir nicht mehr minderwertig, nur anderswertig als der Mann. Aus dem Mund selbst orthodoxer Antifeministen wird uns diese tröstlicheVersuchung."
(Hedwig Dohm 1908).
Diese Frauen erkannten schon damals, daß die Lage der Frauen nicht von "ihrer Natur", sondern von den konkreten "gesellschaftlichen Verhältnissen" bestimmt wird. Das Gerade von der "Natur der Frau" dient nur dazu, die Herrschaft der Männer über die Frauen zu legitimieren. Und wo das nicht ausreicht, kommen die Gesetze. Und wo das immer noch nicht ausreicht, kommt die Gewalt...
"Das Weib ist nicht geschaffen, um zu denken, sondern um zu arbeiten," so Luise Mühlbach 1849. "Und ob ihr eine Seele habt, das ist ziemlich gleichgültig, vorausgesetzt, daß ihr einen schönen Körper, einen gehorsamen, unterwürfigen Sinn und zwei kräftige Arme zur Arbeit habt." Kämpferinnen wie Mühlbach, Dittmar, Anneke, Aston, Hahn-Hahn und Dohm analysierten sehr genau, wie "Weiblichkeit" gemacht und wie sie ausgebeutet wird. Sie prüften die Idealisierungen auf ihren Wahrheitsgehalt und kamen zu dem Schluß, daß "Weiblichkeit" nicht die höchste Entfaltung einer besonderen weiblichen Natur ist, sondern schlicht die "Zurücksetzung in der Erziehung und in der Lebensweise"
(Amalia Holst 1802!).
Sie sagten schon laut, daß auch die Mutterschaft nicht "das Höchste" sei, "was eine
Frau erwünschen könne", auch "wenn die Männer, überhaupt die Menschen, in diesem Punkt etwas schwer von Begriffen sind" (Ida Hahn Hahn 1838). Das Höchste, was eine Frau sich wünschen könne, war in ihren Augen: Recht und Freiheit. Doch: "Von der Wiege an wird (...) ihr Wille gebrochen, unterdrückt; wird sie geübt in Fügsamkeit und Nachgiebigkeit; werden ihr diese Tugenden als die vorzüglichsten ihres Geschlechtes gepriesen" (Ida Hahn-Hahn, 1846) und "wird sie durch Zwang zu-rückgehalten von Wissen und Erkenntnis" (Amalia Holst 1802).
Folgerichtig fordern die Radikalen die völlig gleiche Erziehung von Mädchen und Jungen, in allen Bereichen. Männer sollen nicht länger mehr "alles tun dürfen, alles wissen, alles lernen", Frauen nicht länger nur "zusehen müssen" (Ida Hahn-Hahn). Für diese Frauen gibt es nichts, was Männer können, und Frauen nicht ebenso könnten! "Schickt die Mäd-chen auf die Universität und
die Knaben in die Nähschule und Küche: nach drei Generationen werdet ihr wissen, ob es unmöglich ist, und was es heißt, die Unterdrückten zu sein", erklärte stolz Ida Hahn-Hahn. Und sie fügte selbstkritisch hinzu: Frauen "haben alle Fähigkeiten der Männer", selbst die, "ihre Oberherrschaft (zu) mißbrauchen".
Louise Dittmar analysierte die Hausarbeit und ihre Fol-gen für die Frauen. Die "vielgepriesene Häuslichkeit" war für sie eine "weibliche Galee-rensträflingsanstalt". Sie schrieb: "Die Hausfrau ist in den meisten Fällen nichts als eine vornehme Magd (...) Sie soll haushälterisch tätig sein, Kinder waschen und den Gatten unterhalten, die Kinder erziehen und die Kinder bekommen. Kurz, sie muß das Ideal einer Gattin, Mutter, Hausfrau sein (...) alles können und nichts wollen, alles leisten und nichts brauchen; tugendhaft, liebenswürdig, gebildet, bescheiden, einfach usw. sein, ein Genie in Leistung und ein Automat im Willen."
Die Beschränkung auf die mechanischen, geistlosen "häuslichen Beschäftigun-gen", "dieses spindelhafte Umdrehen um sich selbst, gebannt im engsten Kreis", "dieses zeittötende Einerlei" erschöpfen die Kräfte der Frauen und lassen keinen Raum für das "Interesse an der Gesamtheit" (Dittmar). Wie verheerend diese Reali-tät der Frauen auch ihre Per-sönlichkeit deformiert, welche Auswirkung auch dieses Sein auf das (Frauen)Bewußtsein hat, das hat Louise Dittmar beschrieben und damit schon sehr früh eine Erkenntnis formuliert, die erst später von Marxisten aufgenommen wurde. Dittmar: Die "abhängige Lage" der Frauen erfordert "in der Tat gebieterisch all diese Eigenschaften": "Das verkochte und verbügelte Leben der Frauen" hat "eine verkochte und verbügelte Seele" zur Folge. Als zentrale Voraussetzung für die Befreiung der Frauen forderten diese frühen Radikalfeministinnen ihre Befreiung von der Hausarbeit. Sie forderten die Auflösung des Privathaushaltes und die Vergesellschaftung der Hausarbeit, forderten "große gemeinschaftliche Anstalten". -Eine Forderung, die noch heute Utopie ist. Diese Feministinnen kritisierten nicht nur, sie entwarfen feministische Utopien, verbanden Theorie und Praxis. "Wir nehmen z.B. das Recht der Erziehung des weiblichen Geschlechts vorzugsweise in Anspruch und verlangen zu diesem Zweck pekuniäre Un-terstützung zur Errichtung großartiger, ineinandergrei-fender Anstalten. Wir über-nehmen die Sorge für die Pflege der kleinsten Kinder bis hinauf zu den matriellen und geistigen Anforderungen erwachsener Frauen. Wir errichten höhere Bildungsanstalten und verbinden theoretische und praktische Zwecke: z.B. medizinische Wissenschaften mit Verpflegungs und Krankenanstalten; politechnische Institute und den Betrieb aller dahin einschlagenden praktischen Tätigkeiten; eigene Anfertigung von Handelsgegenständen und den Verkauf derselben; wir übernehmen den Betrieb vereinzelter Haushaltungsgegenstände, ordnen sie fachweise und ermöglichen dadurch den Frauen die Betätigung an einer größeren und umfassenderen Wirksamkeit und an den Mitteln des Erwerbs; wir unternehmen Reisen zu kunst- und wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Zwecken; kurz, wir suchen uns nach Neigung und Bedürfnis am großen Ganzen zu betätigen und uns auf eigne Füße zu stellen, nach eignem Gutdünken zu handeln und eignen Anforderungen zu entsprechen". (Dittmar) Diese frühe Forderung Louise Dittmars nach einer Vergesellschaftung der Hausarbeit wurde erst 50 Jahre später auch von einigen Sozia-list/inn/en diskutiert. Andere wandten sich auch dann noch scharf dagegen, so Clara Zetkin, die Lily Brauns Entwurf einer "Wirtschaftsgenossenschaft" als die "neuste Blüte des Utopismus" und das "Pri-vatvergnügen von Sozialistinnen bürgerlicher Herkunft" abqualifizierte. Nicht nur Männer, auch Frauen vertraten (und vertreten) die Ideologie von der Natur der Frau. "Es ist eine dornenvolle Laufbahn, die wir Gleichgesinnte betreten", schrieb Louise Dittmar 1849. "Oft verzweifle ich an der Kraft, ein Feld zu bebauen, das zuvor erst urbar gemacht werden muß; gegen Vorur-teile und Gewohnheit zu kämpfen, die dem eigenen Geschlecht zur Glaubenssat-zung und, was das Schlimmste ist, zur anderen Natur geworden ist." Zuviele Frauen schienen der Lüge von der "Höherwertigkeit des weiblichen Wesens" aufgesessen zu sein (auch heute grassiert sie ja wieder, die Versuchung: Frauen seien "die besseren Menschen", heißt es, sie seien "friedfertiger", bestimmt, "die Welt zu retten"). Dittmar forderte, wie ihre Mitkämpferinnen, den Kampf gegen "jede Form oktroyierter Autorität". Sie wollte einen totalen Umsturz aller ge-sellschaftlichen Verhältnisse, eine "Revolution". Sie wollten den Geschlechterkampf und den Klassenkampf-doch die "Befreiung des Weibes" schien ihnen die "vordring-lichste gesellschaftliche Aufgabe" (Mathilde Franziska Anneke).
Der Befreiungskampf der revolutionären Feministinnen war also damals (wie heute) grundlegend tiefgreifender als der aller anderen revolutionären Bewegungen. Doch sie standen in diesem Kampf allein, konnten weder auf Unterstützung der Sozialisten, noch auf die der "gemäßigten" Schwestern hoffen. Die gemäßigten Feministinnen, allen voran Louise Otto-Peters, wollten lediglich eine Reform des Patriarchats, nicht seine Abschaffung. Sie bejahten die Ideologie vom "natürlichen Unterschied" zwischen Mann und Frau, sowie die vorrangige Bestimmung der Frau für Ehe, Mutterschaft und Haushalt. Sie bekämpften lediglich die Auswüchse der Frauenunterdrückung, nicht aber ihre Wurzeln. Und sie forderten mehr Achtung für die Frauen, die das Recht haben müßten, ihre "echte Weiblichkeit" zu entfalten.
Frauen sollten, so Louise Otto-Peters, "auf andere Art und Weise und auf anderen Gebieten" zum Wohl der Familie und des gesamten "Staatslebens" beitragen. -Eine Sicht der Dinge, die auch heute wieder linke wie bürgerliche Reformistinnen und halbherzige Feministinnen charakterisiert. "Weibliche Geduld" kennzeichnete die Frauen um Otto-Peters, die sich laut distanzierten von den "niedrigen Emanzipationsversuchen" der revolutionären Feministinnen um Luise Aston und andere. Denn diese verleugneten "das na-türliche Element des Weibes" und befänden sich im "ohnmächtigen Ringen" mit den "ewigen Gesetzen der Weiblichkeit" (Otto-Peters). Louise Otto-Peters, die ganz zu Beginn der neuen Frauenbewegung lange der einzige Name war, derüberhaupt erhalten geblieben war (auch kein Zufall, daß die Radikalsten immer die vergessensten sind!), setzte sich in der pro-
grammatischen ersten Ausgabe ihrer "Frauenzeitung"unmißverständlich, aber doch auch auffallend angespannt von den "Emanzipierten" ab:
"Ich gehöre nicht zu den so genannten 'Emanzipierten'..). Zu denen, welche das Wort 'Frauenemanzipation' in Mißkredit gebracht haben,
in dem sie das Weib zur Karikatur des Mannes herabwürdigen." Luise Aston, eine der exponiertesten damaligen Radikalen, die ins politische Exil gehen mußte, wurde von
Otto-Peters öffentlich ein "Zwittergeschöpf" genannt, das mit anderen "Konsorten" Mann und Kind verlassen habe, um "in der Welt herumzuirren und Emanzipation zu predigen". (Der Stil, in dem eine Frau wie Aston Mitte des 19. Jahrhunderts öffentlich angegriffen und diffamiert
wurde, gleicht oft verblüffend bis in Details der Formulierungen hinein dem, den Alice Schwarzer in den 70ern über sich ergehen lassen mußte.)
"Ich aber will es den Männern gleichtun (...) Ich will frei sein und ungebändigt: In dieser Stunde reiße ich mich los von all diesen beengenden Formen des Herkommens und der Schicklichkeit, in dieser
Stunde breche ich mit all den Satzungen, in die man die Frauen eingezwängt hat." - dieses dramatische Bekenntnis von Luise Mühlbach aus dem Jahre 1849 gilt auch für die Radikalen der zweiten
Phase der ersten Frauenbewegung (die nach der ersten Mitte des 19. Jahrhunderts eigentlich die zweite Frauenbewegung war; wir müßten heute darum statt von der "zweiten" von der dritten Frauenbewegung reden), wie Hedwig Dohm, Minna Cauer, Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann und Helene Stöcker.
Sie nahmen um die Jahrhundertwende und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts den Kampf gegen die "Natur der Frau", gegen die sexuelle Unterordnung und die ökonomische Ausbeutung in Familie und Beruf wieder auf. Sie forderten die Koeduktion bis hin in die Universität; sie forderten gleiche Rechte und Selbstbestimmung. Die "weibliche An-derswertigkeit" sei "eine so
durchsichtige Lüge, als wollte man den Armen einreden, sein trockenes Brot und sein Fusel wären vollwertig dem Fasan und dem Champagner des Reichen, wenn auch anderswertig..." (Hedwig Dohm 1908).
Auch diese Radikalfeministinnen stehen wieder im scharfen Gegensatz zu den Gemäßigten ihrer Zeit, die für die volle Entfaltung "echter Weiblichkeit" eintraten, und sich, allen voran Helene Lange, für eine spezifische Mädchenbildung in speziellen Mädchenschulen einsetzten, in denen die "geistige Son-derart" der Frau, ihre "Müt-terlichkeit" höchste Förde-rung erfahren sollte: für den späteren "Naturberuf Mutterschaft".
Und: diese frühen Femini-stinnen der zweiten Phase treffen auch wieder auf einen zweiten erbitterten Gegner -die Sozialisten. Die sozialistische Bewegung vertritt gegen die erstarkende Frauenbewegung nun immer offensiver ihre Auffassung von einer "naturbedingten" - und somit prinzipiell unveränderbaren -geschlechtsspezifischen Ar-beitsteilung in der Familie wie in der Gesellschaft allgemein. Auch sie betreibt ganz offiziell die Propagierung einer weiblichen "Andersartig-keit", gar "Höherwertigkeit"! Hatten die Sozialisten über Jahrzehnte in Theorie und Praxis die Frauenunterdrückung und den Frauenkampf ignoriert, so sehen sie sich nun, dank dem wachsenden Einfluß der radikalen Feministinnen, gezwungen, sich damit zu befassen, zumindest in der Theorie. Und siehe da: die sich in Männerfragen doch ganz und gar dem dialektischen Materialismus verpflichtet fühlenden Sozialisten stehen nun in Frauenfragen in einer Front mit gemä-ßigten und konservativen Frauen.
Unberührt von allen radikalfeministischen Analysen und Erkenntnissen vertrat der noch heute als "frauenfreundlich" gerühmte August Bebel in seinem Klassiker "Die Frau und der Sozialismus" die allgemeinen Vorurteile über eine "Natur der Frau"-und ihren "biologisch bedingten Geschlechtscharakter" (und die heutigen Sozialisten, von denen sich nur die "Fortschrittlichen" gern auf Bebel berufen, sind darüber nicht etwa hinaus gegangen, sondern dahinter zurückgefallen).
Auch für diesen großen Theoretiker der sozialistischen Frauenemanzipations-Theo-rie ist die Frau aufgrund einer angeborenen physischen Schwäche und geringeren Geisteskraft (plus größerer Selbstlosigkeit) natürlich hervorragend geeignet für die "Sorge um Heim und Herd": "Andererseits ist die Frau von Natur aus impulsiver als der Mann, sie reflektiert weniger als dieser, ist selbstloser, naiver..." (Bebel). Dem sekundiert Clara Zetkin (noch heute Vorbild auch vieler linker Frauen) eifrig: "Mann und Weib sind ihrer geistigen und sittlichen Eigenart nach so wenig völlig gleich, als sie ihrer körperlichen Art nach gleich sind." Und: "Gattin und Mutter will (...) die Frau sein, aber Gattin und Mutter in der höchsten Bedeutung des Wortes." Und dazu veröffentlicht sie in ihrer "Gleichheit" wahrhaft triefende Mutter-Gedichte... Nur wenige Sozialistinnen wagen es, wie Emma Ihrer, vehement dem entgegenzutreten. Sie schreibt 1905: "Mutter sein ist so wenig ein Lebensziel wie Vater sein." Doch während reformistische Feministinnen wie Helene Lange allerdings wenigstens weiter für Fraueninteressen kämpfen, ordnet die soziali-stische Bewegung die Frau-enbefreiung der des Proleta-riats unter, verschiebt sie auf ein Ungewisses "Morgen". Mehr noch, sie beutet die "Weiblichkeit" direkt für ihre Parteiinteressen aus. Sozialistin Luise Zietz: "Und just in unserer Partei ist das, was weibliche Eigenart zu geben vermag,"von größter Bedeutung. Der auf das praktische gerichtete Sinn der Frau, ihr Zug zum Konkreten und zum Persönlichen, kann glücklich ergänzen, was an Wesensart der Mann bringt (...) die schnelle Erfassung des Abstrakten, die Hinneigung zum Systematischen''. Die Forderung nach Abschaf-fung des § 218 übernahmen die Sozialisten erst, nachdem sie sie zuvor jahrzehntelang ignoriert hatten. Jede Forderung nach einer "Sexualreform" blockten sie weiterhin ab, wenn auch mit zunehmender Mühe.
Denn der 1904 von Helene Stöcker mit gegründete "Bund für Mutterschutz und Sexualreform" erfreute sich zunehmender Popularität unter den Frauen, auch unter den Töchtern und Ehefrauen proletarischer Männer. In der Zeitschrift "Sexualreform" forderten die Frauen um Helene Stöcker: Die Trennung von Sexualität und Fortpflan-zung, das Recht auf eine selbstbestimmte Sexualität, die Abschaffung aller straf-rechtlichen Eingriffe in das Sexualleben Erwachsener (Homosexualität). Ausgehend von gleichen sexuellen Bedürfnissen von Frau und Mann verlangten sie die "freie Ehe" und die Abschaffung der "ehelichen Pflicht", die gesetzliche Gleichstellung von uneheli-chen und ehelichen Kindern sowie einen gesetzlichen Mutterschutz. Vor allem aber plädierten sie für Bedingungen, die eine bewußte und frei gewählte Mutterschaft überhaupt erst möglich machen: gegen die Zwangsmutterschaft, für Sexualaufklärung und die Abschaffung des § 218, denn: "Die Frau muß als freie Persönlichkeit Herrin ihres eigenen Körpers sein dürfen" (Stöcker). Der "Bund für Mutterschutz und Sexualreform" richtete Auskunftstellen und Heime für ledige Mütter ein und organisierte Sexualaufklärung für Arbeiterinnen über emp-fängnisverhütende Mittel und Methoden. Als die Regierung kurz vor dem ersten Weltkrieg die Werbung für Verhü-tungsmittel verbietet und ein generelles Verbot der Verhütungsmittel plant, fordern
tausende von Frauen in Massenversammlungen vor allem von der Sozialdemokratischen Partei den Widerstand. Sie erzwingen eine Debatte über Geburtenkontrolle, in deren Verlauf schnell deutlich wird, daß die SPD keine einheitliche Auffassung dazu hat. Die Stellungnahmen in der SPD reichen von einer totalen Ablehnung der Frauenforderungen bis hin zu der Auffassung, dies sei "Privatsache" von Mann und Frau. Clara Zetkin trat öffentlich gegen die Geburtenkontrolle ein, das sei "Quacksalberei", die letztlich darauf abziele, "das Proletariat über seine Klassenlage (...) hinwegzu-täuschen", die Befürworter der Verhütung seien Egoi-sten, die nur "so bequem und sorglos wie möglich (...) Kinder großziehen wollen". Die Revolutionärin Rosa Luxemburg ist gegen Empfängnisverhütung mit der Begründung, dies senke die Geburtenzahl des Proletariats... Und der Revisionist Wilhelm Liebknecht hält die Emp-fängnisverhütung für verwerflich und unsittlich, auf sein Bestreben hin nimmt die so-zialdemokratische Presse keine Inserate für Verhü-tungsmittel mehr auf. Auch hier waren sich die unter-schiedlichsten Strömungen der Sozialdemokratie einig gegen die Interessen der Frauen.
Dennoch übernahm die SPD die Forderung nach der Abschaffung des § 218, d.h. konkret für eine "Fristenlösung" für die ersten drei Monate, letztendlich doch in ihr Par-teiprogramm. Aus rein wahltaktischen Gründen (so, wie sie auch 1974 nach anfänglichem Widerstand nachweisbar aus rein wahltaktischen Überlegungen heraus die Reform des § 218 befürwortet hat). - Doch als die SPD in der Weimarer Republik an die Macht kommt, bricht sie ihr Wort und ihr Programm:
die Partei erklärt die Haltung zum § 218 zur "Gewissensfrage" eines jeden einzelnen Abgeordneten. Mehr noch: Der sozialdemokratische Ju-stizminister Radbruch läßt ab 1922 Werbung und Verkauf von Verhütungsmitteln stra-frechtlich verfolgen. Die Sozialdemokraten waren damals (wie auch später in den 70er Jahren) vor allem durch Frauen an die Macht gebracht worden, Frauen, die auf die versprochenen Reformen hofften. In der Weimarer Republik starben jährlich 40.000 Frauen an Abtreibung! Dazu der sozialdemokratische Minister Radbruch: "Völlig fern liegt uns die individualistische Begründung für die Aufhebung der Abtrei-bungsstrafe: daß jedermann unbedingt freier Herr seines Körpers sei". Die SPD übernimmt den alten § 218, sie verwandelt lediglich die "Zuchthausstrafe" in eine "Gefängnisstrafe". Und heute? Heute erzählt uns die SPD immer wieder, sie sei das "kleinere Übel" - was sie im Vergleich zu den Konservativen vielleicht auch ist, aber für uns Frauen ist sie eben immer noch ein "Übel". Und die, neben der SPD, direkte Nachfolgerin der alten Sozialisten, die DKP, ist so klug wie die Genossen da-mals: sie schickt Frauen vor. Parteimitglieder und Sympa-thisantinnen, wie Lottemi Doormann, Frigga Haug, Jutta Menschik und Mechtild Jansen greifen die von Feministinnen gestellte "Frauenfrage" auf - und verdrehen sie.
Auch heute wieder müssen wir uns die Haltung der Linken zum Frauenkampf genau ansehen. Auf Anhieb jedenfalls wird deutlich, daß auch die heutige Linke aller Richtungen die entscheidenden Grundsätze der Radikalfeministinnen unüberprüft ablehnt. Sie leugnet, daß die Teilung der Gesellschaft in
Frauen und Männer grundlegender ist als die Teilung in soziale Klassen. Und für fast alle sind Frauen und Männer von "Natur" aus unterschiedlich. Zwar variieren sie hinsichtlich des Ausmaßes der "natürlichen" Unterschiede, doch gilt nach wie vor für sie der Satz von Alice Rühle-Gerstel von 1932: "Selbst die ganz gesellschaftswissen-schaftlich eingestellten Mar-xisten halten noch an dem biologischen Geschlechtscharakter der Frauen fest und sprechen nur von vereinzelten 'Sklaveneigenschaften' als der Wirkung der sozialen Konstellation."
Auch heute wieder sind die revolutionären wie die refor-mistischen Linken in der Frage der "Natur der Frau" eins mit den Reformistinnen der heutigen Frauenbewegung. Auch heute wieder stehen im Frauenkampf die Radikalfeministinnen im scharfen Gegensatz sowohl zu ihren reformistischen Schwestern als auch zu ihren linken Genossinnen und Genossen. Luise Mühlbach hatte schon 1844 erkennen müssen: "In dem ihr euch freimacht (werdet ihr) die ganze Welt im Kampf gegen euch sehen." Was also gilt heute für die Radikalfeministinnen? Die alte Erkenntnis, daß wir nur auf unsere eigenen Kräfte zählen können, und: daß unsere Forderungen nur eine Chance haben, wenn wir stark sind!
URSULA SCHEU

Literatur zum Thema: Maria Wagner: Mathilde Franziska Anneke in Selbstzeugnissen und Dokumenten, Fischer; Germaine Goetzinger: Für die Selbstverwirklichung der Frau: Louise Aston, Fischer; Gisela Brinker-Gabler: Zur Psychologie der Frau, Fischer; Gisela Brinker-Gabler: Frauenarbeit und Beruf, Fischer; Schwestern, zerreißt eure Ketten, Zeugnisse zur Geschichte der Frauen in der Revolution von 1849-49. Hrsg. Gerlinde Hummel-Haasis, dtv; Lida Guslava Heymann: Erlebtes-Erschautes, Anton Hain Verlag; Renate Möhrmann: Die andere Frau. Emanzipationsansätze deutscher Schriftstellerinnen im Vorfeld der achtundvierziger Revolution, Metzler; Frauenempanzipation im deutschen Vormärz, Texte und Dokumente (Hrsg) Renate Möhrmann, Reclam; Hannelore Schröder: Die Rechtlosigkeit der Frau im Rechtsstaat, Campus; Die Frau ist frei geboren, Texte zur Frauenemanzipation, Bd. l und 2, Hrsg. Hannelore Schröder, Beck; Margit Twellmann: Die deutsche Frauenbewegung; Ihre Anfänge und erste Entwicklung 1843-1889, 2 Bde., Athenäum.
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